Das imaginäre Museum der Bürokratie, das dem Österreicher epigenetisch innewohnt und dem Zugereisten nicht selten als Ort des Schreckens erscheint, bei dessen Eintritt er alle Hoffnung fahren lässt, feiert in diesen Wochen seine Bedeutung in der Realität mit der ebenso ehrgeizigen wie spektakulären Schau "Meisterwerke vaterländischer Aktenübermalung".

Zwar ist die Idee des Übermalens durch Schwärzen nicht neu, zielte in der bildenden Kunst aber eher auf eine Erweiterung von Bewusstsein und Erkenntnis des Betrachters. Nicht in jeder Behörde kann freilich der freie Geist eines Arnulf Rainer wehen, weshalb bürokratischer Kunstsinn sich - seiner Natur gemäß - eher die Dämpfung des Erkenntnistriebes zum ästhetischen Prinzip macht, seit Jahrhunderten in Bezug auf den normalsterblichen Untertanen gepflegt, seit neuestem auch dort, wo dessen parlamentarische Vertreter ein anmaßendes, dennoch ungebührliches Interesse am amtlichen Schaffen im Verborgenen zeigen.

Stolz, mit ihren Werken aus ärarischem Dunkel endlich einmal ans Licht der Öffentlichkeit treten zu können, sehen sie sich aber dem Dünkel eines Publikums ausgesetzt, dessen Mangel an Kennerschaft seit der Vernissage täglich aufs Neue bewiesen wird. Statt diesen Mangel wenigstens durch ehrfürchtige Andacht vor der Schwärze auszugleichen, ward Spott und Hohn die Reaktion. Wieder einmal, und nicht zum ersten Mal in der österreichischen Kunstgeschichte, werden Künstler verkannt, die ihrer Zeit voraus sind.

Es gibt tatsächlich Abgeordnete, die glauben, den Erhellungscharakter der Aktmalerei eins zu eins von der Aktenmalerei einfordern zu können, und die nackte Wahrheiten verlangen, wo es eben um Respekt vor dem Mysterium keuschesten Kunststrebens geht. Volksvertreter, die nicht einzusehen vermögen, dass Bundesgesetzblätter, deren literarischer Inhalt ihnen einst entfloss, plötzlich als geheime Akte gelten, und - recht betrachtet - erst übermalt wieder vor ihre Augen kommen sollten, sind eines Volkes, begnadet für das Schöne, nicht wert. Ut pictura poesis mag für Horaz noch gegolten haben, für Hans Jörg Schelling erfordert Kunstbetrachtung andere Maßstäbe.

Wo es nicht mehr möglich ist, Zeitungsausschnitte ansprechend zu übermalen, ohne den ästhetischen Zweck zu verfehlen, stößt derzeit selbst der begnadetste Künstler noch an seine Grenzen, aber es bleibt ein Ziel, edelsten Bürokratenschweißes wert. Bis dahin müssen die künstlerischen Mittel reichen, längst veröffentlichte Fachaufsätze als geheim einzustufen, sofern sie Aussagen enthalten, die ein zartes Beamtengemüt in seelische Bedrängnis bringen könnten.

Letztlich können nur Künstler selber kompetent über ihr Werk und Wirken urteilen. Die Entmündigung von Abgeordneten, die mit ihrer Kritik am Ärar déco nur ihr Banausentum beweisen, ist berechtigt. Ist die Zeit für diese Kunstrichtung auch noch nicht ganz reif, muss doch gelten: Der Kunst ihre Freiheit! Daran darf sich nichts ändern, selbst wenn der Verfassungsgerichtshof als höchster Kunstrichter des Landes der Wahrheit den Vorzug vor der Schönheit geben sollte. (Günter Traxler, 7.5.2015)