Wien - Als politisch engagierter Künstler ist er ein Botschafter für den Frieden. Als Musiker kommt Daniel Barenboim aus einer vergangenen Zeit, in der es noch Allrounder gab, die ein riesiges Repertoire aus dem Ärmel schütteln konnten und sich nicht nach den Maßgaben audiophiler und leider oft steriler Perfektion richten mussten.

Nur unter diesen Vorgaben kann man einigermaßen dem gerecht werden, was im ersten von vier Abenden mit Klaviersonaten Schuberts im Musikverein zu hören war. Wenn manches - zugespitzt gesagt - so wirkte wie noch rasch im Flugzeug auswendig gelernt, sagt dies nicht nur etwas über die Distanz zu den gewohnten, problematischen Standards aus. Diese Assoziation steht vor allem für gigantische Fähigkeiten des 73-Jährigen, der sich die meisten dieser Werke erst in jüngster Zeit angeeignet hat. Barenboims Souveränität besteht in anderem als in manueller Perfektion.

Sein Spiel wirkt oft großzügig, mitunter grobschlächtig. Grandios zielt er auf das Ganze, das er auch dann erfasst, wenn Details vernachlässigt scheinen. Aufschlussreich ist die Programmkombination der einzelnen Abende mit Werken aus verschiedenen Schaffensphasen, etwa die Gegenüberstellung der Sonate in a-Moll D 537 mit der "kleinen" und "großen" A-Dur-Sonate D 664 bzw. D 959, von denen Letztere im Finale das Thema des langsamen Satzes des frühen Moll-Werks wiederaufnimmt.

Um gleich bei der spätesten Komposition zu bleiben: Hier spannte der Pianist mit der Übersicht des versierten Dirigenten den Bogen über alle vier Sätze, wenn er Schuberts grandiose Rahmenbildung von den Akkorden und Arpeggien des Beginns bis zur Schluss-Stretta hervorkehrte, bei der er sich aber in blendende Brillanz flüchtete.

Dass nicht alles hundertprozentig saß (wie im Kopfsatz die Passage vor der ersten "Schlussgruppe" mit den Oktavsprüngen), störte kaum, weil Barenboim ansonsten für plastische Präsenz der Musik sorgte: durch freie Hervorhebung harmonischer Ausweichungen, gegen das Metrum gestellter Akzente, ausufernder Eruptionen.

Barenboim ist aber vor allem auch ein begnadeter Lyriker, der sein Instrument zart und schwebend singen lassen kann, als würde er gerade improvisieren. Und das passt gerade zu Schubert besser als noch so ausgefeilte Makellosigkeit. (Daniel Ender, 6.5.2015)