Überschön: In Ragnar Kjartanssons Videoinstallation wird Allen Ginsbergs "Song" sechs Stunden lang repetiert.

Foto: Joshua Franzos

Salzburg - Normalerweise wird Schönheit durch Begriffe wie Harmonie, Durchschnitt und Symmetrie definiert. Was aber, wenn diese Begriffe unscharf geworden sind? Damit befasst sich die Ausstellung Überschönheit in Salzburg, einer Stadt, die von vielen "als zu schön" empfunden wird. Wegen solch exzessiver Pracht war einst Stendhal in Florenz regelmäßig in Ohnmacht gefallen. Hält man es mit Dostojewski, der sagte, Schönheit rette die Welt? Oder meint man wie Beckett, dass zu viel Schönheit fadisiert?

Gar nicht langweilig ist das Ausstellungsdesign von Tilo Schulz für Überschönheit: Der deutsche Künstler schuf ein Labyrinth mit acht Schauräumen, die nicht als Ganzes überblickt und nur in der vorgegebenen Richtung besichtigt werden können. Schwarze oder transparente Wände, enge Gänge und meist abgedunkelte Zellen dürften Klaustrophobikern wenig Spaß bereiten, sie verstärken aber die Wirkung der Werke. Dass es zu Beginn des Parcours um den weiblichen Körper geht, um Fragen der Sexualität und Identität, ist ob des Dauerbombardements mit einschlägigen Bildern der Unterhaltungsindustrie nur logisch.

Die US-Amerikanerin Aïda Ruilova übermalt bevorzugt Filmposter surreal-erotischer Filme aus den 1970ern. Story of O bezieht sich etwa auf den gleichnamigen BDSM-Klassiker des Modefotografen und Regisseurs Just Jaeckin, The Beast auf den Walerian-Borowczyk-Streifen Die Bestie. Bei den Fototapeten Wildness und Headstanding Totem der türkisch-österreichischen Künstlerin Nilbar Güres kann der Ausstellungstitel als witzige Reflexion "über Schönheit" gelesen werden. Erstere zeigt ein Transgender-Model, Letztere verschiedene Anspielungen auf Weiblichkeit und Fruchtbarkeit bei indigenen Völkern. Den erotischen Film der 1960er-/ 1970er-Jahre thematisiert Ruilova in einem anderen Raum erneut mittels der surrealen Horror-Sex-Fantasien des Regisseurs Jean Rollin, die ihrerseits auf Georges Batailles Obszönes Werk verweisen. Rollins letzter Film Life-Like handelte von Sex und Tod, Ekstase und Trauer.

Mitten im Rundgang stößt der Besucher auf ein zusätzliches architektonisch-sensorisches Element: Es gilt über eine Treppe einen Steg zu erklimmen, ehe man von dort Schirin Kretschmanns Installation Single auf sich wirken lassen kann. Ursula Mayers Filme und Fotografien stellen Fragen zum Verhältnis von Organismus und Maschine, die Glas-Polyester-Objekte Prosthetic Kiss könnten mit ihren phallischen Formen auch in einem futuristischen Sexshop zu finden sein. Der Isländer Ragnar Kjartansson zeigt in einem sechsstündigen Video eine sphärisch-hymnische Performance seiner drei Nichten im Carnegie Museum of Art, wo sie Allen Ginsbergs Song mit der Textzeile "The weight of the world is love" mantramäßig wiederholen.

Die Collagen aus Mode- und Wohnzeitschriften von Nicole Wermers konfrontieren einen am Ende der Schau mit den Werbe- und Marketing-Trugbildern der Gegenwart. Exzessive Schönheit erweist sich hier als das Ergebnis der Manipulation durch die Lifestyle-Wunschmaschine. Ob die Menschen trotz aller Ironisierungen aus diesem Labyrinth des modernen Lebens und seinem schönen Schein jemals herausfinden, kann die Schau natürlich nicht beantworten. Ein Besuch lohnt sich dennoch. Nächsten Dienstag führt Kurator Séamus Kealy durch die Ausstellung. (Gerhard Dorfi, 6.5.2015)