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EU-Kommissar Andrus Ansip ist für das Strategiepapier mitverantwortlich. Er hasse Geoblocking "aus ganzem Herzen", ließ er kürzlich wissen.

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Die EU-Kommission gibt sich in einem neuen Strategiepapier zur Reform des digitalen Binnenmarkts ambitioniert: In nahezu allen IT-Bereichen – vom Onlinehandel über das Urheberrecht bis zum Telekommarkt – soll es zu großflächigen Änderungen kommen. Auch wenn der vorab im Netz aufgetauchte Bericht vor allem in der Frage der konkreten Umsetzung vage bleibt, lösen die Pläne bereits starke Reaktionen aus. Für Nutzer könnten die Vorschläge von Digitalkommissar Günther Oettinger und Digitalmarktkommissar Andrus Ansip zahlreiche Erleichterungen schaffen, US-Firmen rüsten sich hingegen für neue Regulierungen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Warum will die EU-Kommission mit dem Strategiepapier einen großen Wurf vorlegen?

Entscheidungsträger in Brüssel denken, dass der digitale Binnenmarkt ein entscheidender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union ist. IT-Belange seien nicht mehr ein eigener Sektor, sondern Grundlage nahezu aller Branchen, ist in dem Bericht zu lesen. Außerdem gingen durch Restriktionen im Onlinehandel Milliarden Euro verloren. Zusätzlich geht es auch um Gefühle: Länderbeschränkungen im Netz haben in der EU nichts mehr zu suchen, so die Kommission. Vor allem will man aber gegen Konkurrenz aus den USA und China bestehen.

Warum beschäftigt sich die EU-Kommission mit internationalen Paketdiensten?

Beamte haben berechnet, dass der Versand von Produkten zwischen zwei EU-Mitgliedsstaaten bis zu fünfmal teurer als eine Lieferung im eigenen Land ist. Daher zögern Konsumenten, grenzübergreifend zu bestellen. Das widerspricht aber der EU-Prämisse eines freien Güteraustauschs. Deshalb will die EU-Kommission nun Paketdienste unter die Lupe nehmen und mit ihnen gemeinsam Modelle für günstigere Versandoptionen erarbeiten.

Wo hakt es beim Onlinehandel?

Neben den genannten Problemen mit internationalem Versand ist die EU auch bemüht, Geschäftsbedingungen zu harmonisieren. So sind Bestimmungen, wann Nutzer erworbene Produkte retournieren dürfen, von Land zu Land verschieden. Händler haben außerdem Probleme mit unterschiedlichen Steuerregelungen. Hier will die EU Abhilfe schaffen. Für digitale Güter wie E-Books gebe es teilweise noch überhaupt keine Bestimmungen, so der Bericht. Die Arbeiterkammer warnt in einer Aussendung, dass das Vertragsrecht des Herkunftslandes beim Anbieter gelten solle. "Damit würden die bisherigen verbraucherfreundlichen Regelungen außer Kraft gesetzt", so AK-Expertin Daniela Zimmer.

Was meint die EU mit einem "Ende des Geoblocking"?

Die EU-Kommission versteht unter Geoblocking die "Praxis, für kommerzielle Zwecke den Zugang zu Webseiten zu sperren". Der EU geht es hier etwa um Preisdiskriminierung: Nutzern soll überall derselbe Preis für Dienste berechnet werden. Als Beispiel werden Leihwagen genannt. Das könne zwar in manchen Bereichen "gerechtfertigt" sein, sorge jedoch auch für "Unzufriedenheit beim Konsumenten". Allerdings ist unklar, wie die EU-Kommission für Abhilfe sorgen will. Wohl auch deshalb lässt sie sich mit den ersten Vorschlägen bis 2016 Zeit.

Werden digitale Ländergrenzen beim Urheberrecht fallen?

Die EU-Kommission hat errechnet, dass nur vier Prozent aller On-Demand-Videos in der EU grenzüberschreitend genutzt werden können. Das sorgt für Frust bei den Nutzern: Denn oft haben sie kostenpflichtig und legal Zugang zu einem Service wie Maxdome oder Sky Online erworben, können diesen aber auf Geschäftsreisen oder im Urlaub nicht nutzen. Zumindest in diesem Punkt will die EU neue Gesetzesbestimmungen vorlegen. Langfristig müssten Anreize geschaffen werden, um Lizenzen für ganz Europa attraktiv zu machen. Netflix versucht das beispielsweise auf eigene Faust, indem bei Verhandlungen mit Rechteinhabern auf EU-weite Pakete gedrängt wird. Inwiefern die EU hier gesetzlich eingreifen kann, ist mehr als unklar. Die EU-Abgeordnete Julia Reda (Piraten) weist darauf hin, dass die Kommission sich wohl vorerst nur kostenpflichtigen, aber nicht werbefinanzierten Diensten zuwendet:

Was unternimmt die EU-Kommission gegen Piraterie?

Internetprovider sollen künftig dazu verpflichtet werden, stärker gegen illegale Inhalte vorzugehen. Das betrifft sowohl Terrorpropaganda als auch Urheberrechte. Die Rede ist von "intermediaries", darunter könnten auch Hosting-Portale fallen. Im EU-Parlament tobt momentan noch ein heftiger Streit um solche Maßnahmen. Die Arbeiterkammer warnt hier vor mehr Überwachung und Kriminalisierung von Nutzern. Maximilian Schubert vom Branchenverband ISPA will nicht, dass Provider in eine Richterrolle gedrängt werden. Weiters lehne die ISPA Netzsperren "strikt ab", Pflichten bei der Entfernung illegaler Inhalte - etwa Kinderpornografie - würden bereits jetzt sehr ernst genommen werden.

Bleibt es bei der Abschaffung der Roaming-Gebühren?

Das plant die EU-Kommission zumindest. "Das Reformpaket für den digitalen Binnenmarkt wird gemeinsame Regeln für Netzneutralität bringen und die Abschaffung der Roaming-Gebühren, vor allem im Datenbereich, auslösen", heißt es im Strategiepapier. Die zwei Felder hängen eng zusammen: Telekomprovider wollten relativ vage Netzneutralitätsregeln, um auf diesem Weg mit schnelleren "Spezialdiensten" Extragebühren zu sammeln und den Wegfall von Roaming-Geldern wettzumachen. Dagegen protestierten allerdings Bürgerinitiativen und Wirtschaft, weshalb das EU-Parlament sich für eine strenge Auslegung der Netzneutralität starkmachte. Jetzt wird mühsam im Trilog zwischen Kommission, Parlament und einzelnen Mitgliedsländern verhandelt.

Wie will die EU-Kommission für ein schnelleres Netz sorgen?

Die EU will für Telekomkonzerne Anreize schaffen, mehr in Breitband zu investieren. Allessandro Gropelli, Sprecher des europäischen Telekombranchenverbands ETNO, zeigte sich gegenüber "Politico" zufrieden mit den Vorstößen. Die enge Verquickung zwischen Telekomkonzernen und Regierungen – etwa in Deutschland mit der Deutschen Telekom – könnte allerdings noch für nationale Interventionen sorgen. Die ISPA hätte sich gewünscht, dass die EU "ein klares Statement in Richtung der kleinen und mittleren Provider" abgebe. Zusätzlich besänftigen will die Kommission Telekomkonzerne mit dem Versprechen, neue Anbieter, die "konkurrierende Dienste anbieten", enger unter die Lupe zu nehmen. Gemeint sind damit primär Messenger wie Whatsapp, die Internettelefonie zur Verfügung stellen.

Warum löst das Papier Unmut unter US-Konzernen aus?

Kein einziges Mal tauchen auf den 18 Seiten des geleakten Papiers Whatsapp, Facebook und Google namentlich auf. Dennoch ist ihre Anwesenheit ständig zu spüren. Der Bericht spricht etwa von großen Plattformen, die "in Wirtschaft und Gesellschaft eine größere Rolle als je zuvor spielen", etwa indem "Nutzer online Informationen finden oder Unternehmen Onlinehandel betreiben können". Die Marktmacht dieser Plattformen besorgt die EU-Kommission, ebenso ihre "fehlende Transparenz". Beide Bereiche sollen einen stärkeren Fokus erlangen. "Die EU will all diesen (US-, Anm.) Firmen einen ständigen Regulator vorsetzen und im Nachhinein Regeln aufstellen", beklagt sich etwa Geoffrey Manne vom International Center for Law and Economics gegenüber "Recode". Auch die "Sharing Economy" mit Vertretern wie Uber und Airbnb soll reguliert werden.

Kommt die europäische Cloud?

Das Papier bleibt hier noch sehr vage. Die EU plant schon seit Jahren (und besonders seit den NSA-Enthüllungen), eigene Lösungen für Cloud Computing und das Internet der Dinge zu fördern. Digitalkommissar Oettinger wollte dafür bis zu drei Milliarden Euro investieren. Im Strategiebericht ist nun die Rede von einer "Free Flow of Data"-Initiative, außerdem soll die Cybersecurity durch Partnerschaften mit Privatkonzernen gewahrt werden. (Fabian Schmid, 6.5.2015)