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Die EZB und das Bankenviertel in Frankfurt. Welche Rolle spielt die deutsche Finanzindustrie bei der Verhinderung strengerer Vorschriften für Kreditinstitute?

Foto: REUTERS/Kai Pfaffenbach

STANDARD: Um wie viel sicherer als vor der Krise ist das Bankensystem in Europa heute?

Hellwig: Die Antwort ist simpel. Wenn wir all das, was wir an zusätzlichen Regulierungen haben, bereits im Jahr 2000 gehabt hätten, wäre die Krise trotzdem nicht anders verlaufen. Es hätte keinen Unterschied gegeben.

STANDARD: Wie kommen Sie zu dieser ernüchternden Einschätzung?

Hellwig: Die Mechanismen, die 2008 zum Kollaps geführt habe, sind nach wie vor da. Zum einen die Abhängigkeit der Kreditinstitute von der kurzfristigen Geldmarktfinanzierung, vor allem durch Geldmarktfonds. Nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers gab es einen Run auf Geldmarktfonds und einen Run der Geldmarktfonds auf die Banken. 2011 haben wir so etwas wieder erlebt. Das kann auch jederzeit wiederkommen. Zum anderen hat man nach wie vor keine Verfahren, große Banken systemschonend abzuwickeln.

STANDARD: Wo liegt das Problem?

Hellwig: Bei Banken mit Tochtergesellschaften in mehreren Ländern schreiten in den verschiedenen Ländern die jeweiligen Behörden ein, und die unternehmerische Einheit wird zerschlagen. In der Eurozone hat man neuerdings eine Behörde, aber die USA und das Vereinigte Königreich, die wichtigsten Länder bei diesem Thema, sind nicht dabei.

Ein Beispiel: Lehman Brothers war ein wichtiger Marktmacher für Derivate. Dieses Geschäft war in London. Als die englischen Behörden in die Bank kamen, musste das Geschäft sofort gestoppt werden, denn es war kein Bargeld da. Im Zuge des weltweit integrierten Cash-Managements was das beim vorherigen Geschäftsschluss in London nach New York abgezogen worden und nicht wiedergekommen.

STANDARD: Die EU hat seit 2008 viele Sicherungsnetze geschaffen. Zuletzt wurde ein Notfallfonds eingerichtet, der von den Banken finanziert wird. Das ist doch keine schlechte Idee.

Hellwig: Dem Abwicklungsfonds stehen 55 Milliarden Euro zur Verfügung, hinzu kommen noch einmal 70 bis 80 Milliarden, die der Fonds in Form von Krediten beim Eurorettungsschirm aufnehmen darf. Die Bilanzsumme der BNP-Paribas liegt irgendwo zwischen 2000 und 3000 Milliarden Euro. Die Deutsche Bank lag bis vor kurzem auch noch bei rund 2000 Milliarden Euro. Ein großer Teil davon kann kurzfristig fällig gestellt werden. Wie soll denn mit einem so kleinen Fonds die Refinanzierung einer so großen Bank für die Zeit des Sanierungs- oder Abwicklungsverfahrens sichergestellt werden? Man könnte sagen, die Notenbanken sollen helfen. Aber die dürfen keine Kredite an insolvente Banken geben.

In Europa tut man so, als könne man am Freitagabend in die Bank gehen, sie am Samstag bewerten und am Sonntag den verschiedenen Anlegern sagen, was für Ansprüche sie noch haben, sodass die Bank dann am Montag wieder als solvent erscheint und vom Markt wieder mit Vertrauen finanziert wird. Das ist völlig absurd. Bei einer großen Bank müssen Sie davon ausgehen, dass es in der Größenordnung von rund 1000 Tochtergesellschaften gibt. Wie soll denn das alles bewertet werden? Wie sollen die komplexen Derivatepositionen bewertet werden? Das kann sich über Monate und Jahre hinziehen.

STANDARD: Und was ist mit den Bail-in-Regeln? Diese besagen, dass Gläubiger von Kreditinstituten künftig mit zur Kasse gebeten werden.

Hellwig: Diese Regeln enthalten sehr viele Ausnahmen. Unterm Strich wird verlangt, dass Banken sich so finanzieren müssen, dass die Geldgeber, die nicht ausgenommen sind, mindestens acht Prozent ihrer Bilanz abdecken und entsprechende Verluste absorbieren können und müssen. Für weitere fünf Prozent der Bilanzsumme können Mittel aus dem erwähnten Abwicklungsfonds kommen. Da sind wir bei 13 Prozent der Bilanzsumme. Bei der Anglo Irish (die Bank war hauptverantwortlich für das Finanzdesaster in Irland, Anm.) beliefen sich die Verluste auf über 20 Prozent der Bilanzsumme.

STANDARD: Sie haben in früheren Interviews gesagt, dass Deutschland bei der Bankenregulierung gebremst hat. Warum? Banken spielen in der deutschen Wirtschaft eine untergeordnete Rolle, ihre Lobbymacht sollte begrenzt sein.

Hellwig: In Deutschland legt die Politik Wert auf die öffentlichen Banken und darauf, dass Regulierung und Aufsicht diese nicht stören und den Ländern und Kommunen, denen diese Banken gehören, keine großen Pflichten auferlegen. In Deutschland gibt es viele Versionen von Hypo Alpe Adria: die Landesbanken. Das sind Machtinstrumente der Ministerpräsidenten, so wie die Hypo Alpe Adria ein Machtinstrument Haiders war. So etwas lässt man sich nicht gern nehmen.

STANDARD: Warum wehren sich die Landespolitiker gegen strengere Regulierung?

Hellwig: Hohe Eigenkapitalforderungen wollen die Ministerpräsidenten nicht haben, weil das Eigenkapital, das sie dann bereitstellen müssten, aus ihrem Budget kommen müsste. Sie müssten also Geld in die Hand nehmen, sich das Ganze vom Parlament genehmigen lassen.

STANDARD: Gibt es eigentlich eine große Lehre aus dem Fall Hypo Alpe Adria? Österreich wendet als erstes Land die neuen Regeln für ein Banken-Bail-in an.

Hellwig: Staatsgarantien sind nicht das, wofür man sie hält. Wenn ich mir ansehe, welches Zeter und Mordio es jetzt bei der Hypo Alpe Adria gibt, wo die Verluste noch überschaubar sind, frage ich mich, wie glaubwürdig ist das Bail-in, wenn es einmal um eine größere Bank geht? Grundsätzlich sollten Gläubiger an Verlusten beteiligt werden, wenn das Eigenkapital der Schuldner aufgezehrt ist. Aber gegen diesen Grundsatz hat man immer wieder verstoßen, so 2010 in Irland, wo der Druck der Europäischen Zentralbank dafür sorgte, dass der Staat die Banken stützte, sodass die deutschen und französische Banken, die große ungesicherte Kredite gegeben hatten, am Ende schadlos blieben.

STANDARD: Die EZB hat sich auch im Falle Griechenlands, als die Krise dort begann, lange gegen eine Entschuldung gewehrt.

Hellwig: Das ist so nicht richtig: 2010 ging es nicht um eine Entschuldung, sondern um die Weiterfinanzierung Griechenlands mit öffentlichen Geldern. Dass die Regierungen von Deutschland und Frankreich dem zugestimmt haben, hatte wohl auch damit zu tun, dass eine Hilfe für Griechenland ihnen politisch als weniger kontrovers vorkam als eine Hilfe für die deutschen und französischen Banken, die sonst Probleme bekommen hätten. Die EZB war auch dabei, sie fürchtete vor allem ein Überspringen der Krise auf andere Länder. Es wäre allerdings besser gewesen, man hätte damals im Mai 2010 Griechenland und die Banken sich selbst überlassen. Das wäre für Griechenland zwar zunächst deutlich schmerzhafter gewesen – das Land hätte aber die kritischen Entscheidungen selbst treffen können und müssen. So haben die Griechen seit 2010 das Gefühl, dass sie nichts zu sagen haben. Der Punkt ist: Wenn Griechenland kein Geld mehr von außen bekommt, muss die Regierung die Ausgaben kürzen oder die Steuern erhöhen. Dann müssen auch die Politiker und das Volk entscheiden, wie sie die Prioritäten setzen. Solange man Geld von außen bekommt, drückt man sich gern um solche Entscheidungen und vertagt die Verteilungskonflikte. Deshalb sind wir noch nicht viel weiter als 2010. (András Szigetvari, 6.5.2015)