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Ein neuer Konkurrent für die Uhrenindustrie: 20 bis 30 Millionen dieser Geräte will Apple im ersten Jahr verkaufen.

Foto: Apple

Es war eine Geburt auf Raten. Im vergangenen Herbst kündigte Apple die lang erwartete Uhr an, im März wurde sie vorgestellt. Seit Ende April ist sie im Verkauf, aber nur teilweise, in begrenzten Stückzahlen und in ausgewählten Ländern. In anderen, Österreich etwa, kann man sich auf eine Warteliste setzen lassen oder zu überhöhten Preisen bei Ebay & Co bestellen.

Und jetzt? Wie geht's weiter, wie agieren und reagieren die Mitbewerber, schaut Apple auf die Uhr, wie spät es ist? Wir wissen nicht, ob sich die Prognosen - 20 bis 30 Millionen verkaufte Uhren im ersten Jahr - bestätigen werden. Aber klar ist, dass das Unternehmen wieder für Aufregung sorgt, und das gleich in mehreren Branchen. Und dass diese spätestens jetzt aufgewacht sind.

Hochämter der Silicon-Valley-Gemeinde

Zunächst kurz zur Vorgeschichte: Mit iPods, iPads und MacBooks (und anders als beim iPhone) hatte Apple keine neuen Produktkategorien kreiert, sondern dank Design bzw. Benutzerfreundlichkeit die vorherigen Versuche der Konkurrenz alt und unfertig aussehen lassen. Entsprechend groß (und durch die Fans und Apostel verstärkt) war jedes Mal der Hype rund um die Vorstellungen: Hochämter der Silicon-Valley-Gemeinde.

Die Markteinführung der Apple Watch, der letzten noch von Steve Jobs abgesegneten, für das Unternehmen neuen Produktsparte, verlief nach einem ähnlichen Muster. Smarte Uhren gibt es ja schon seit einiger Zeit, doch der Konzern hebt seine Variante in die Nähe einer viereckigen Hostie - man braucht sich nur das Produktvideo anzusehen, in dem Chefdesigner Jony Ive in feinstem britischem Englisch jedes Bildchen auf dem Schirm, jede Schraube des Armbands zelebriert. Zumindest fürs Erste dürfte dem neuen Produkt aus dem Hause Apple der Nimbus als Statussymbol (Tobias Moorstedt in der "Süddeutschen") bzw. als Fashion-Item (Tilmann Prüfer in der "Zeit") gesichert sein.

2CV oder Ferrari

Doch es gibt auch kritischere Beobachter. Insbesondere die Schweizer Uhrenindustrie reagiert, aus triftigen Gründen, auf die transatlantische Herausforderung mit recht unterschiedlichen und widersprüchlichen Argumenten. Im letzten Herbst hat sie das Gadget aus Kalifornien belächelt und gefragt, ob das überhaupt eine Uhr sei und nicht vielmehr ein Telefon mit Musik am Handgelenk, das halt nebenbei die Zeit anzeigt.

Mit demselben Recht könnte man aber die "grandes complications" großer Schweizer Häuser als Spielkonsolen bezeichnen, die den Sternenhimmel zeigen, Glockengeläute veranstalten, die Schwerkraft aufheben und am Rande angeben, wie spät es ist und wann wieder ein Schaltjahr sein wird.

Die Sache ist komplizierter

Als "zu perfekt" bezeichnete Jean-Claude Biver, Chef der Uhrenfirma Hublot und beim Luxuskonzern LVMH auch für die Marken TAG Heuer und Zenith zuständig, die Apple Watch, es fehle ihr Persönlichkeit.

Nick Hayek, Chef der Swatch Group, des weltweit größten Uhrenkonzerns, freut sich über alle, die zunächst irgendetwas am Handgelenk tragen - sie würden wohl später zu richtigen Uhren wechseln. Und Xavier Comtesse, Innovationsexperte aus Genf, meinte, die Schweizer Uhrenbranche möge "Apple den 2CV überlassen und einen intelligenten Ferrari anbieten". (Dass Apple vorgestrige Klapperkisten bastelt: Diesen Vorwurf hat dem Unternehmen bisher noch niemand gemacht.) Ist den Chefs der eidgenössischen Zeitmesser der Angriff aus Kalifornien also egal? Die Sache ist komplizierter. Es gibt ja nicht "den" Markt, um den sich alle streiten, und es geht nicht um kalte Computertechnik gegen hehre Manufakturen.

"The Swiss are screwed"

So weiß man zum Beispiel, dass Apple eine Kooperation mit Schweizer Erzeugern angestrebt hat, von diesen aber abgelehnt wurde - das mag erklären, warum Jony Ive bei der Vorstellung seiner Uhr mit einer gewissen Befriedigung gesagt haben soll: "The Swiss are screwed." Für das obere Marktsegment gilt das bestimmt nicht. Wer einen sechsstelligen Betrag dafür auszugeben bereit ist, die Zeit am Handgelenk ungenauer gesagt zu bekommen als von seinem Handy, für den ist nicht Apple Watch das Thema, sondern Jaeger-LeCoultre, Patek Philippe e tutti quanti.

Im niedrigen fünfstelligen Bereich sieht das schon ein wenig anders aus. Die New York Times hat unlängst die Apple Watch Edition (Rosé- oder Gelbgold, 11.000 bis 13.000 Euro) in einer Reihe mit klassischen Schweizer Golduhren wie Omega und Rolex vorgestellt. Deren Hersteller hingegen verweisen darauf, dass man sich um solche Summen nicht eine Uhr anschafft, die nach zwei Jahren veraltet sein wird - nach dem Patek-Philippe-Motto: Man bewahrt sie schon für die nächste Generation.

Das Match ist offen.

Untreueverdacht

Offen ist vorläufig auch, wie sehr Apple das Preissegment um die 500 Euro aufmischen wird, wo Modeuhren und die teureren Smart Watches angesiedelt sind. Gerade da könnten Uhrenfreunde den angestammten Marken untreu werden.

Zwar berufen sich die Schweizer auf eine avancierte Forschung und Technik im Lande, die jederzeit "intelligente" Uhren entwickeln kann. Nur fragt man sich, warum sie dann nicht Apple zuvorgekommen sind.

Verspätete Antworten gibt es in Form von "hybriden" Uhren, die den Nimbus heimischer Uhrenkaliber mit digitalen Zusatzfunktionen verbinden. Modelle von Frédérique Constant / Alpina lassen sich mit Android- und iOS-Phones verbinden, bleiben aber zugleich "normale" Uhren und vermeiden die auffallendste Schwäche der Apple Watches, die Akkudauer von nicht einmal einem Tag.

TAG Heuer mit Google und Intel

Einen Schritt weiter - und sehr viel weiter weg - ist Biver gegangen. Auf der Baselworld im März kündigte er eine Zusammenarbeit von TAG Heuer mit Google und Intel an. Herauskommen soll eine analoge Uhr ähnlich dem jetzigen Carrera-Modell mit einem digitalen Inneren aus dem Silicon Valley. Es wird daher auch nicht "Swiss Made" sein, was Biver in Kauf nimmt. Es sei ein Fehler, "auf die Produktion auf Schweizer Boden zu verzichten", kontert Comtesse.

Niemand weiß, ob Apples Gerät am Handgelenk die nächste heiße Sache ist, gar ein Gamechanger wie das iPhone, oder nur eine vorübergehende Mode, oder ein Anstoß für die Schweizer Branche oder für ebenfalls nicht zu verachtende Mitspieler wie Seiko in Japan; und Samsung, HTC, Sony etc. schlafen ja auch nicht. "Ich weiß nicht, wohin der Zug fährt", sagt Guy Sémon, Direktor von TAG Heuer, "aber ich weiß, dass ich in dem Zug sitzen muss." (Michael Freund, Rondo, 8.5.2015)