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Nicola Sturgeon auf der Erfolgwelle: Ihr frischer Wahlkampfstil bedrängt Großbritanniens alte Garde.

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Für Fußballfans klingt Parkhead nach Glamour, schließlich ist hier Celtic daheim. Der Verein im Glasgower Osten steht vor seiner vierten Meisterschaft in Folge. Sein Fußballpalast mit 60.355 Plätzen, im Volksmund Parkhead, dominiert eine Kreuzung vierspuriger Ausfallstraßen. In Respektabstand ducken sich Mietskasernen in den Wind. Die Gehsteige sind übersät mit Hundekot. An der Westmuir Street flattert eine Polizeiabsperrung, auf dem Gehsteig liegt weißer Sand. Ein Unfall? Wahrscheinlich Messerstecherei, sagen zwei Einheimische, Genaues wissen sie nicht, rasch sind sie weg.

Ohnehin wirkt die baumlose Straße wie ausgestorben. Ab und zu rauscht ein Bus durch, als könnte der Fahrer nicht schnell genug wegkommen. Im Pub O'Kanes beginnt die Happy Hour schon zu Mittag. Geöffnet haben auch jede Menge Wettbüros. Und die Wahlkampfzentrale von Natalie McGarry. "SNP - vote McGarry" prangt über der mit Plakaten in Gelb vollgepflasterten Auslage.

Im Herbst 2014 verpasste Schottlands Nationalpartei ihr Ziel: Bei der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit stimmten die 5,3 Millionen Schotten mit 55,3 Prozent für den Verbleib im Gesamtstaat. Acht Monate später stehen die drei Buchstaben für einen vergleichbaren Einschnitt: SNP-Kandidaten, so Umfragen, werden bei der britischen Unterhauswahl am Donnerstag die große Mehrheit der 59 Mandate gewinnen.

"Labour? Nie wieder"

In der letzten Legislaturperiode verloren sich sechs Nationalisten unter den 650 Abgeordneten, nun sollen sie sich vervielfachen. Bei einem Patt zwischen Tories und Labour könnten die Feinde des Gesamtstaates zukünftig das Zünglein an der Waage sein.

Noch ist es nicht so weit, noch kämpfen die Juristin McGarry, 33, und ihre Leute um jede Stimme, auch um Briefwähler. Es sind vor allem bürgerliche Bezirke in Glasgow Ost, die im Zickzack abgefahren werden. Doch auch in Parkhead gibt es Briefwähler. "Gehen Sie wählen?" In einem Sozialwohnungsblock erhält der schmächtige IT-Student Alex klare Auskunft von einem untersetzten Mann in dunkelblauem Sport-Trikot. "Ja, das mache ich", nuschelt Derek MacKenzie und lässt sich von Alex ein SNP-Poster fürs Fenster geben. "Bisher habe ich immer Labour gewählt. Nie wieder."

Es ist diese breite Ablehnung der alten Arbeiterpartei, die Nationalisten hoffen lässt. Seit Jahrzehnten dominierte sie die Politik nördlich des Hadrianswalls. Doch nun? Aus und vorbei. "Die Stärke der SNP ist auch die Schwäche der anderen", sagt Jan Eichhorn, Soziologe der Uni Edinburgh. Regelmäßig fragen er und seine Kollegen die Bevölkerung nach ihrer Einstellung zu politischen und sozialen Fragen. Zunächst schleichend, später schnell hätten sich die Nationalisten in den Köpfen der Wähler etabliert. Dazu trug die reibungslose Regierungsarbeit der SNP seit 2007 erheblich bei. Hingegen präsentierte sich Labour im schottischen Parlament kläglich.

Mitgliederzahl vervierfacht

Geholfen hat der SNP auch ein Tiefschlag Camerons nach dem Referendum: Künftig sollten schottische Unterhaus-Abgeordnete bei Fragen, die "nur England betreffen", nicht mehr mitstimmen. Dabei lassen sich im hochzentralisierten Großbritannien die Politikfelder kaum abgrenzen.

Das Manöver half der SNP, die Niederlage an der Urne in einen moralischen Sieg zu verwandeln. Ministerpräsident Alex Salmond überließ seiner Stellvertreterin Nicola Sturgeon die Führung von Partei und Regierung. Die Mitgliederzahl hat sich seither vervierfacht. 21 von 59 Parlamentskandidaten der SNP sind Frauen - noch ein Faktor, der die männlich geprägte Labour Party alt aussehen lässt. Die SNP profitiert vom Sturgeon-Boom. Flugs hat sie ihre Werbung auf die Chefin zugeschnitten; unverhohlen wirbt sie um die Stimmen bisheriger Labour-Wähler: Die SNP will die harte Sparpolitik beenden, Sozialkürzungen rückgängig machen.

Natalie McGarrys Wahlkampf ist für den Tag zu Ende, als in Glasgow die Nacht anbricht. Eine Adresse steht noch auf der Liste, in der Winning Row. Diesmal reagiert niemand auf das Klopfen. Dass die SNP auf der Siegerstraße ist, bezweifelt aber kaum jemand. (Sebastian Borger aus Glasgow, 6.5.2015)