Ich lief in St. Pölten mit. Mittendrin – als einer von 7.000, die hier zugunsten der Rückenmarksforschung vor der Ziellinie davonliefen.
In dieser Galerie: 33 Bilder
Am anstrengendsten war die Anreise. Und das, obwohl vorhersehbar gewesen war, dass der Weg nach St. Pölten auch heuer nicht nur mit guten Vorsätzen, sondern auch mit Fahrzeugen gepflastert sein würde: Der Worldrun begann in diesem Jahr – in Österreich – um 13 Uhr.
Um 12 Uhr hätten die Zufahrten gesperrt werden sollen. Und wir waren – trotz sorgfältigem Puffer – da immer noch auf der Autobahnabfahrt. Und bevor wer motschgert: Statt zu viert einen Pkw zu befüllen einen Shuttlebus zu nehmen, hätte uns nicht schneller ins Startgelände gebracht: Vor und hinter uns standen auch einige der Busse im Stau.
À propos motschgern: Dass ich ein berufliches Naheverhältnis zum den "World Run" veranstaltenden Unternehmen habe, setze ich als bekannt voraus. Das wissen auch meine diversen Chefs. Aber auch, dass ich weder organisatorisch noch journalistisch oder sonstwie medial irgendetwas mit diesem Charityevent zu tun habe oder hatte.
Ich habe mich – so wie rund 7.000 Läuferinnen und Läufer des Austro-Laufes zugunsten der Rückenmarksforschung auch – ganz normal angemeldet, habe ganz normal mein Startgeld bezahlt und auch ganz bewusst weder eine Journalisten- noch eine Firmenakkreditierung (die es im Übrigen nicht gab) in Anspruch genommen: Ich war einer von 7.000 "Normalos" – weil ich Idee, Hintergrund und Event gut finde.
Damit 7.000 Leuten vor einem Start nicht fad wird, braucht es auch ein bisserl Event-Tamtam. Hannes Arch drehte ein paar Loopings – und währenddessen, davor und danach wurde gefühlte vier Millionen Mal das Setting erklärt: Auf der ganzen Welt würden heute Menschen laufen. Start wäre exakt zum gleichen Zeitpunkt. 100 Prozent der lukrierten Startgelder gehen in die Forschung.
Natürlich können nicht alle Läufer gleichzeitig losrennen: Um 13 Uhr liefen die ersten über die Startlinie. Als wir dort drei Minuten später vorbeikamen, war an "laufen" nicht zu denken: Man ging – warf einen Blick auf die hier jetzt noch 30 Minuten (eigentlich: 27 Minuten) wartenden "Catcher Cars" – und setzte sich dann langsam in Trab.
Die "Catcher Cars" sind der Clou des Events: Anderswo läuft man auf das Ziel zu. Weiß also, wie weit man laufen wird. Beim Worldrun "verfolgt" das Ziel die Läuferinnen und Läufer. Langsam, aber unerbittlich. Wer überholt wird, ist raus.
Wäre das ein Rennen gewesen, bei dem es um irgendetwas geht, wäre ich vermutlich sauer gewesen. Nur: Beim Worldrun geht es um nix – außer um den Spaß und die gute Sache. Ob mich das "Catcher Car" ein bisserl früher oder später erwischen würde, war wurscht. Nicht "eigentlich" – sondern wirklich.
Dass es bei Volksläufen am Anfang trotzdem mitunter dramatisch eng ist, ist eben so. Das müsste nicht sein: Sogar bei Fun- und Charity-Läufen gibt es nach Laufzeiten gestaffelte Startblöcke. Dass oder warum sich in Österreich kein Mensch daran hält, und wieso das nicht kontrolliert wird, ist eine Frage nach Henne & Ei.
Aber: Bei einem "echten" Wettkampf kann das super nervig sein. In St. Pölten überwog aber der Spaß. (Unnötig und allen Schnelleren gegenüber unfair ist das Gedränge aber trotzdem.)
Mein Ziel war bei der Anmeldung irgendwann im Sommer des Vorjahres noch irgendwo zwischen Halb- und Marathondistanz gelegen. Dann hatte ich mich aber umentschieden: Ich würde eine Freundin, die seit ihrer Schulzeit keine Veranstaltung mit Startnummer mehr gelaufen war, begleiten. Geschätzte Distanz: 12 Kilometer.
Mit diesem "take it easy" war ich in allerbester Gesellschaft: Schon am ersten Kilometer überholten wir Andreas Goldberger. Der schlenderte mehr, als dass er lief - dabei hatte er im Vorjahr über 40 Kilometer gemacht. Aber beim Worldrun gilt eben wirklich das olympische Prinzip. Das vom Dabeisein, nicht das vom Stockerl.
Aber es dauerte ohnehin nicht lang, bis sich das Feld halbwegs lichtete. Und man nicht mehr bei jedem Schritt aufpassen musste, nicht wem anderen ins Wadl zu steigen.
Um den Grund des Laufes nicht zu vergessen, wurde man auch auf der Strecke immer wieder dran erinnert.
Und weil man zwar ambitioniert, aber doch nicht ultra-ehrgeizig lief, war auch genug Zeit, um in Radio- und sonstigen Interviews immer wieder darauf hinzuweisen, worum es hier ging. (Und dass man ziemlichen Spaß hatte.)
Die ersten fünf Kilometer führten durch St. Pölten. Und hatten vor allem einen Sinn: Dem Feld die Möglichkeit zu geben, sich auseinanderzuziehen.
Dass bei einem Lauf zugunsten der Rückenmarksforschung Behinderte ganz selbstverständlich mit dabei sein können, ist eh klar. Trotzdem - und gerade im Hinblick auf viele andere Events, wo das aus "Sicherheitsgründen" angeblich unmöglich ist - kann man nicht oft genug betonen: Man muss es wollen. Dann geht es auch.
Die moderne Architektur der niederösterreichischen Metropole kann beeindruckend sein: Es gibt schließlich für (fast) alles eine Ziel- oder Beeindruckendfind-Gruppe.
Wobei: Aus der richtigen Perspektive betrachtet hat sogar St. Pölten Ecken, die charmant wirken. Im Vorbeilaufen.
Aber man läuft hier ja nicht, um die Sehenswürdgkeiten zu bewundern - sondern, um Teil eines globalen Wir-machen-das-alle-gleichzeitig-Dings zu sein. Wenn man da auf der Strecke auch noch Freunde und Freundinnen trifft, mit denen man schon ganz woanders gelaufen ist: umso feiner.
Außerdem ist der Worldrun etwas, das auch den "Locals" etwas zum Stolzsein gibt. Und das ist gut so. Der Feuerwehrmann mit seiner Druckluftsirene hätte mich zwar beinahe von der Strecke geblasen - aber: Von dem, was die Niederösterreicher in den Dörfern und Gemeinden da an Support & Party & Stimmung entlang der Strecke abzogen, könnten sich vor allem die Wiener eine ganze Menge abschneiden.
Aber die Shoppingtristesse-Bausünden des Speckgürtels sind trotzdem da.
Ah, der 15k-Pacer! Beim Start war der junge Mann mit der "Wer bei mir ist kommt 15 Kilometer weit"-Flagge knapp vor uns gestanden. Nach drei Minuten hatte ich ihn aus den Augen verloren - und dachte: "Bumsti, wenn der so auf 15er paced, schaffen wir keine zehn Kilometer." Nach sieben Kilometern holten wir ihn ein:
Er war wohl doch ganz eindeutig am Anfang viel zu schnell unterwegs gewesen - und bremste sich jetzt massiv ein. Das Blöde: Hobbyläufer, die sich da anhängen, "verbrennen" auf den ersten paar Kilometern - und verfehlen ihr Ziel. Sowas kann frustrieren. Zum Glück war in meiner Gruppe ich der Schrittmacher - und hatte der Versuchung, dem Flaggenmann zu folgen, widerstanden.
Es gibt Dinge, die sind ebenso sinnlos, wie sympathisch. Das "Abklatschen" gehört dazu. Und den Kindern macht es Spaß.
Hab ich schon darauf hingewiesen, dass Rollstühle in Laufveranstaltungen nur dann ein Problem sind, wenn man daraus eines machen möchte?
Natürlich sind solche Slogans ein bissi doof. Andererseits: In einem großen Laufpulk sind die blödesten Sprüche dann immer wieder ein Grund zu lächeln. Oder um sehen zu wollen, wie der Mensch aussieht, der sich sowas auf den Buckel pickt. Also: Nochmal Gas geben.
Viel Hämisches wurde und wird über die Gestaltung der Kreisverkehre im ländlichen Raum gesagt. Das meiste - eigentlich: alles - zu Recht.
Die Version "Kreisverkehr dicht bevölkert mit lebenden und anfeuernden Objekten" wurde aber bisher kaum oder gar nicht beachtet. Zu Unrecht: Diese Gestaltungsvariante ist nämlich sympathisch - jedenfalls beim Laufen.
Wir leben nicht nur in einer pluralistischen Gesellschaft - wir laufen auch in ihr. Und das ist gut so.
Woran erkennt man, dass das kein "echter" Wettkampf ist? Etwa daran, dass einer die Kamera auf irgendeinen Straßenpfosten legt, und dann zweimal dran vorbeirennt: Wenn ich einmal reich bin, leiste ich mir meine eigenen Pressefotografen - bis dahin blödle ich weiter selbst herum.
Der Nachteil der "echten" Fotografen: Die sehen meistens nur ein oder zwei Bilder auf einer Strecke. Mit der Nano-Cam (in meinem Fall die GoPro) in der Hand, kriegt aber jeder brauchbare feine Erinnerungsstücke hin: Speicherplatz kostet nix - und ein paar Bilder werden schon nicht verwackelt sein.
Bei Kilometer 14 holte ich Thomas Morgenstern ein. Irgendwer meinte, dass er ihn weiter vorne erwartet hätte: "Alter, ich bin Skispringer, nicht Läufer - und außerdem laufen wir hier einen Charitybewerb und kein Rennen." Stimmt. Trotzdem fein, einen "echten" Sportler zu überholen.
Längst - etwa seit Kilometer sieben - war das Feld schön auseinander gezogen. Natürlich wurde noch überholt. Aber im Grunde hatten sich die Blöcke gefunden. Man trabte gemütlich und gemeinsam ins Land hinein…
...plauderte, scherzte und genoss das perfekte - weil nicht zu heiße und seit Kilometer vier auch nicht mehr schwüle - Laufwetter. "Irgendwie erinnert mich das an einen Schulwandertag", meinte einer in "meinem" Pulk. Alle stimmten zu. So schnell entstehen Gemeinschaften - obwohl wir einander zuvor alle noch nie gesehen hatten.
Aber dann, knapp nach Kilometer 16, war es soweit: Wir wurden eingeholt. Ein paar Läuferinnen und Läufer legten noch Schlusssprints hin. Weil, sagte einer nachher, es sich irgendwie gehört, sich dann noch einmal anzustrengen.
Dann, nach dem Einholen, wurde es aber wirklich ein Wandertag: Bis zum nächsten Pick-Up-Punkt war es nämlich doch noch ein Stückerl. Und auf den Bus einfach so zu warten, wäre auch blöd gewesen: Wer steht, kühlt nämlich aus.
Und vom letzten Jahr wussten wir: An den Bus-Haltestellen gab es nicht nur Getränke, sondern auch Decken.
Die waren zuerst einmal warm und kuschelig aber danach natürlich auch begehrte Souvenirs. Der Vorteil an diesem Bild: Fotos geben keine Gerüche wieder.
Die Busfahrer, die den ganzen Nachmittag über Läuferinnen und Läufer einsammeln mussten, taten mir fast ein wenig leid. Aber nur ein ganz kleines Bisserl.
Ich war in ziemlich genau eineinhalb Stunden ein wenig weiter als 16 Kilometer gelaufen. Für mich eine Kleinigkeit. Für andere ein Klacks. Aber darum geht es nicht: Alle hier liefen für die, die es nicht können. Dafür, dass sich das ändern könnte - und sei es nur für die Hoffnung darauf.
Deshalb - ich wiederhole mich - habe ich auch kein Problem damit, hier über eine Veranstaltung zu schreiben, die von einem meiner Arbeitgeber veranstaltet wurde: Ich verstecke oder verschweige dieses Naheverhältnis nicht - und hoffe auf Ihr Verständnis. Und falls das für Sie eine Unvereinbarkeit darstellen sollte, kann ich daran auch nix ändern.
Nachsatz: Weltweit liefen 101.280 registrierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Der Event spielt 4,2 Millionen Euro für die Forschung ein.
(Thomas Rottenberg, derStandard.at, 5.5.2015)
Wings for Life