Mit dem Literaturmuseum im ehemaligen Hofkammerarchiv ("Grillparzerhaus" ) erweitert die Österreichische Nationalbibliothek ihr Museumscluster. Dass dies erst durch die Zerstörung eines einzigartigen denkmalgeschützten Ensembles möglich wurde, scheint niemanden zu kümmern.

Der älteste Archivzweckbau Österreichs in der Wiener Johannesgasse, errichtet in den Jahren 1843-46, hat die Öffentlichkeit bis vor kurzem nicht interessiert. Auch Franz Grillparzer, der hier als Direktor des Hofkammerarchivs seine letzten Dienstjahre bis zur Pensionierung 1856 verbrachte, galt zuletzt als langweiliger Beamtendichter und Herrschaftsverherrlicher. Sein im Original erhaltenes Arbeitszimmer wurde nicht gerade "gestürmt".

Seit das Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek spätestens Anfang 2008 ein Auge auf das Gebäude des Hofkammerarchivs zu werfen begann, scheint wie durch ein Wunder alles anders. Viel war und ist seitdem die Rede von der "unglaublichen Aura" des Gebäudes und seiner, wie immer wieder werbewirksam betont wird, denkmalgeschützten Archivregale.

Von diesem - heute verlorenen - Zauber können allerdings nur jene mit echter Kennerschaft sprechen, die das Hofkammerarchiv noch in Funktion und mit aktengefüllten Stellagenreihen kannten. Archivare, Historiker, Studierende, aber auch der Schriftsteller Gerhard Roth, der dem Archiv in seinen Wiener Stadtspaziergängen eine Miniatur gewidmet hat. Oder der Fotograf Franz Hubmann, der die unvergleichliche Atmosphäre der Regale und Faszikelreihen so meisterhaft einzufangen wusste. Was verschwiegen wird: Nicht nur die Stellagen waren denkmalgeschützt!

Wegen seiner herausragenden Bedeutung als kulturhistorisches Ensemble blieb das Hofkammerarchiv in den 1980ern zunächst von der Absiedlung in das Zentralgebäude des Österreichischen Staatsarchivs in Wien-Erdberg verschont. Mit Bescheid des Bundesdenkmalamtes vom 28. 1. 2004 wurde das Hofkammerarchiv sogar in seiner Gesamtheit, das heißt Gebäude und Inhalt (Archivalien) als untrennbare Einheit, unter Denkmalschutz gestellt.

Chronique scandaleuse

Dessen ungeachtet tauchten im Frühling 2005 in den Medien Gerüchte auf, auch das Hofkammerarchiv solle auf Drängen des Bundeskanzleramtes nach Erdberg abgesiedelt werden. Die Denkmalschützer schlugen Alarm. Die Wiener Landeskonservatorin Barbara Neubauer, heute Präsidentin des Bundesdenkmalamtes, erklärte im April 2005: "Nach dem vom Bundesdenkmalamt ergangenen Bescheid ist eine Veränderung undenkbar. Die vom Bundesdenkmalamt beschiedene Unterschutzstellung umfasst das Objekt mit seinem Inhalt." Manfred Matzka, Präsidialchef im Kanzleramt, schwärmte dennoch schon Ende 2005 in der Wiener Zeitung von musealer Nutzung, ein "Grillparzer-Package für Schüler" sollte entstehen. Am Ende konnten Denkmalamt und Medienrummel die Delogierung nur verzögern, nicht verhindern. 2006 wurde tatsächlich mit der "Leerung" der Regale begonnen.

Erstaunlich ist, dass ein vernichtender Fachaufsatz des Denkmalschutzexperten Manfred Hocke in der Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für Denkmal- und Ortsbildpflege (2/2007) systematisch totgeschwiegen werden konnte. Mit satirischem Lakonismus sucht Hocke darin nachzuweisen, dass die Absiedlung der Archivbestände den Tatbestand der rechtswidrigen Zerstörung eines Denkmals erfülle, und referiert die Strafbestimmungen des Denkmalschutzgesetzes.

Vielleicht muss man der Nationalbibliothek dankbar sein, dass mit der zurückgebliebenen, funktionslosen Archivkarkasse nicht noch viel unsensibler verfahren wurde; auch wenn vom einstigen Charme des Gebäudes nichts geblieben ist und sich Zweifel regen, ob mit dem Hör- und Schaumuseum "der Literatur", mit der Maultrommel Peter Handkes und dem Schlafrock Heimito von Doderers die Hülle dieses einst so bedeutenden Denkmals auch nur annähernd adäquat gefüllt wurde. (Julia Hörmann-Thurn und Taxis, DER STANDARD, 5.5.2015)