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Die Alabama Shakes haben gut lachen. Aus ihren McJobs spielten sie sich auf die großen Bühnen. Ihr zweites Album "Sound & Color" zeigt: Das ist kein Zufall gewesen.


Foto: AP / Rich Fury
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Wien - Zorn und Langeweile können Zehrgebiete großer Dramen sein. Vor allem, wenn Schusswaffen frei verkäuflich sind und die Zukunftsperspektive keinen größeren Horizont bietet, als einen Job in jenem Fastfood-Restaurant zu bekommen, das einem täglich die Leberwerte ruiniert. Doch nicht immer führen solche Umstände gleich zu nachbarschaftsfeindlichem Amoklauf, mitunter entlädt sich die Unzufriedenheit ganz friedvoll in Kunst.

Brittany Howard stellte aus Langeweile und beherzter High-School-Allergie eine Band zusammen. Shakes war der nicht besonders originelle Erstname, der bereits mehrfach vergeben war, also stellte Howard ihren Shakes ein lokal koloriertes Alabama voran und nannte sich und ihre vom Leben ebenfalls unterforderten Mitstreiter Alabama Shakes. Man spielte in der Nachbarschaft, in Altenheimen, in Hinterwäldlerclubs rund um das 20.000-SeelenKaff Athens. Die Bandmitglieder verdingten sich in Küchen oder im nahen Atomkraftwerk.

Glück und Zufall wollten es, dass Jack White die Band entdeckte und ihre erste Single auf seinem Label Third Man veröffentlichte. Das 2012 erschienene Debütalbum Boys & Girls enthielt dann mit Hold On einen Ohrwurm, der sich zum Hit auswuchs. Aus der kleinen Supportband ihrer Förderer, den Drive-By Truckers, wurde ein Hauptact, dessen Debüt sich allein in den USA 700.000-mal verkauft hat. Es folgten große Festivals und eine Einladung der Obamas, doch bitte im Weißen Haus zu spielen: der amerikanische Traum im Technicolor des echten Lebens.

Brittany Howard lebt heute immer noch in Athens, doch den zugigen Mietwohnwagen verließ sie zugunsten eines richtigen Hauses, ihres Hauses. Als zweite Extravaganz flog sie Mama und Oma nach Hawaii, in den Urlaub, von dem die beiden ihr ganzes Leben lang geträumt hatten.

Der Ruf aus der Küche

Nun hat dieses unglamouröse Quartett sein zweites Album veröffentlicht, und man muss kein Hellseher sein, um prognostizieren zu können, dass weitere Immobilieninvestitionen anstehen. Das Album ist zwar mit Sound & Color ähnlich simpel betitelt wie der Erstling, aber ungleich vielfältiger ausgefallen, ganz im Sinne des Titels. Zwar schöpfen die Alabama Shakes aus dem Fundus des Southern Rock, sie dekonstruieren ihn jedoch kunstvoll, laden ihn mit Soul auf, tauchen ihn in den Blues und führen ihn in die Kirche, wo er mit warmem Bier getauft wird.

All das mit einer Ökonomie, wie sie Bands wie The xx auszeichnet, mit denen die Shakes trotz anderer Ausrichtung atmosphärisch verschwägert sind. Gleichzeitig instrumentiert die Band nun vielfältiger, die Produktion ist intimer, besser, die Songs immer noch einfach, doch von Hilfsmitteln wie einem stellenweise eingesetzten Analogsynthesizer effektiv aufgemascherlt. Und dann ist da Howards Stimme.

Ein rüstiges, vom Essen-ist-fertig-Ruf aus der Lohnküche geeichtes Falsett, das mit seinen sehnsüchtigen Kreischern mehr Emotion transportiert als die handelsüblichen Sachbearbeiter des Pop. Der Titelsong des Albums steht dafür prototypisch, ist akustisches Gold, von kongenialen Mitstreitern in die passende Fassung geschmiedet. Die Zuschreibung Southern Rock stößt da längst an ihre Grenzen. Mit dessen Hemdsärmeligkeit haben die Alabama Shakes bestenfalls die Ärmel ihrer Hemden gemein.

Faulheit rockt

Dessen Überwindung untermauern beseelte Kleinode wie Guess Who, dessen elektronischer Rhythmus mit notenfaulen Gitarrenriffs und Keyboardeinsätzen mindestens einen Hit ergeben muss. Hier verschmilzt das Erbe des Soul, des Country und des Blues in einem perfekten Drei-Minuten-Song. Und selbst das härter rockende Lied The Greatest ist eher Garagenpunk als Lynyrd Skynyrd.

In Shoegaze betupft eine Hammondorgel den Sound, während Howard kurz in Richtung Gospel schlenkert. Dabei bleibt die Band immer ihrem Understatement verpflichtet, cool, spielt lieber zu wenig als zu viel. Ganz so, als würde sie dem ganzen Zuspruch, der ganzen Aufmerksamkeit, die sie genießen, immer noch ein wenig skeptisch gegenüberstehen. Landeier eben, aber sympathische Landeier. Lieber noch ein Bier kosten, als schon wieder umgreifen. Diese Gemütlichkeit steckt an, ihre Faulheit rockt. (Karl Fluch, DER STANDARD, 5.5.2015)