Essen!", hallt es blechern aus den Lautsprechern am kommunalen Abschleppplatz im Wiener Südosten. Es ist noch eine Weile bis Mittag. Hier am Ende von Simmering, wo sich die Ostautobahn zwischen Einfamilienhäusern, Gemüseplantagen und Industriehallen ihren Weg bahnt, werden nicht nur verkehrsbehindernd geparkte und abgeschleppte Autos verwahrt, sondern auch mehrere hundert Fahrräder.

Meist sind es ramponierte und verrostete Gestelle, denen die Luft im Reifen fehlt oder gleich der ganze Laufradsatz. Solche Wracks aus dem Stadtbild zu entfernen ist Teil des Auftrags der MA 48, der Wiener Magistratsabteilung für Abfallwirtschaft. Wenn sie an unbefugter Stelle angekettet werden, rücken aber auch völlig intakte Räder ins Visier der Abschleppgruppe. Der Trupp bringt die Einspurigen nach Simmering, und wer sein Rad von dort zurückhaben will, muss unter Umständen tief in die Tasche greifen.

Ein Abschleppplatz in Simmering: Hier lagern unzählige Fahrräder.
Foto: Christian Fischer

Diese Erfahrung machte auch Ralph Fiala (Name von der Redaktion geändert). Ende März "kettete ich mein Fahrrad wie so oft mangels anderer Möglichkeiten am Geländer der U-Bahn-Station Schottenring an", berichtet Fiala. "Bei meiner Rückkehr war das Rad unauffindbar." Er ging von Diebstahl aus, kaufte sich ein neues Rad und hoffte, es würde nicht noch einmal an derselben Stelle gestohlen. Ein Passant, der ihn zufällig beim Absperren beobachtete, erzählte von Gemeindebediensteten, ihrem Werkzeug, der Akkuflex, und ihrem Ziel, dem Abschleppplatz in der Simmeringer Haide.

Unwissenheit und Strafe

Also erkundigte sich Fiala bei den Wiener Linien, die ihn an die MA 48 verwiesen. Dort konnte man ihm den Aufenthaltsort seines alten Rades prompt bestätigen. Um es auszulösen, müsse er nur die Rechnung von 234 Euro begleichen. 60 Euro betrug der Abtransport, dazu kamen die Verwahrungskosten für 29 Tage zu einem Satz von sechs Euro pro Tag.

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, sagt in diesem Fall der sogenannte Volksmund gern. Schließlich hatte Fiala gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Paragraf 68, "Verhalten der Radfahrer", verbietet das Anketten von Fahrrädern an verfügbaren Stellen auf öffentlichen Gehsteigen zwar nicht grundsätzlich; für Fußgänger müssen bloß zweieinhalb Meter bleiben, und die Räder dürfen nicht verkehrsbehindernd abgestellt werden. Absatz vier macht davon aber eine wesentliche Ausnahme: "Dies gilt nicht im Haltestellenbereich öffentlicher Verkehrsmittel, außer wenn dort Fahrradständer aufgestellt sind."

Wenn ein mutmaßlich verlassenes Rad eine solche Schleife trägt, läuft bereits die Frist bis zur Entfernung.
Foto: Christian Fischer

Die Räder werden laut den Wiener Linien dann entfernt, wenn sie den reibungslosen Betrieb behindern, also den Zugang zum Fahrzeug für Menschen mit Kinderwägen und Rollstühlen erschweren, oder auch aus Sicherheitsgründen. "Angekettete Fahrräder bei U-Bahn-Stationen sind Barrieren auf Fluchtwegen und verstellen das taktile Leitsystem für sehbehinderte Menschen", sagt Michael Unger, ein Sprecher des Verkehrsunternehmens.

Rund hundert gefährdend oder verkehrsbehindernd abgestellte Fahrräder werden jedes Jahr in Wien entfernt. Das ist aber nur ein kleiner Teil der insgesamt fast tausend Räder, die jährlich am Verwahrplatz in der Jedletzbergerstraße landen. Die meisten fristeten davor marod und mutmaßlich aufgegeben ihr Dasein in der Stadt und blockierten womöglich nützliche Radständer.

Funkensprühend abgeflext

Wenn Straßenreiniger, Polizei, Parkraumbewirtschafter oder ambitionierte Bürger ein unter Wrackverdacht stehendes Fahrrad melden, obliegt den Mitarbeitern der Abschleppgruppe die behördliche Einschätzung, ob das Vehikel noch in Betrieb stehen könnte. Bei einem negativen Urteil bringen sie zunächst eine Infoschleife am Rahmen an. In schwarzer Schrift auf weißem Band wird der Besitzer gewarnt, dass das Rad bei der nächsten Tour mitgenommen wird. Meist vergehen vier Wochen, ehe ein Rad offiziell zur Hinterlassenschaft erklärt und in wenigen Sekunden funkensprühend abgeflext wird. Er sei schon öfter für einen Fahrraddieb gehalten und angesprochen worden, erzählt ein Mitarbeiter des Trupps und grinst.

Kaum ein Schloss hält der Akkuflex mehr als ein paar Sekunden stand.
fischer

Wer diese Frist versäumt, kann sein Glück noch zwei Monate lang am Abschleppplatz versuchen. "Der Besitzer muss glaubhaft machen, dass das Rad wirklich ihm gehört. Eine Rechnung mit Rahmennummer hilft uns natürlich, oder auch eine möglichst genaue Beschreibung von Marke, Type und Farbe. Im Prinzip genügt aber auch ein Foto vom Besitzer mit dem Rad", sagt Christian Jurkovits, der Leiter der Abschleppgruppe. Von sich aus Kontakt zu den Besitzern herzustellen scheitert meist an den Rückverfolgungsmöglichkeiten. Eine Kennzeichenpflicht gibt es nicht, und ein System zum GPS-Tracking installieren die wenigsten Eigentümer, erklärt Jurkovits. Vielen geht es wohl wie Ralph Fiala: Sie wissen gar nicht, dass hinter dem Verschwinden ihres Fahrrads kein ordinärer Diebstahl steckt. Das erklärt auch, warum im vergangenen Jahr nicht einmal 40 Räder vor Ablauf der Zweimonatsfrist und nach Bezahlung der Abschlepp- und Verwahrkosten zum ursprünglichen Besitzer zurückfanden.

Zur Beute der Schrottpresse

Über das Schicksal aller anderen in Simmering gebunkerten Drahtesel entscheiden schließlich die fachkundigen Augen von Jurkovits’ Mitarbeitern. So wurden im Vorjahr etwa 270 Fahrradleichen "stofflich verwertet", also zur Beute der Schrottpresse. Knapp 500 Räder wurden im sogenannten 48er-Basar in Wien-Donaustadt verkauft. Das ist ein städtischer Second-Hand-Laden, der auch mit nicht abgeholten Fundsachen und weggeworfenen, aber noch brauchbaren Gegenständen handelt. Zwischen zehn und 50 Euro bringt ein solches Fahrrad durchschnittlich ein, rechnet MA-48-Sprecherin Ulrike Volk vor.

Mitarbeiter der Abschleppgruppe bringen die Ausbeute zum Verwahrplatz auf der Simmeringer Haide.
Foto: Christian Fischer

Rund 170 weitere Räder wurden im Rahmen sozialer Projekte überholt und kostenlos karitativen Einrichtungen überlassen. Von jenen, die ihre Räder auslösten, kassierte der Magistrat im vergangenen Jahr etwa 2500 Euro. Seit drei Jahren liegt dieser Betrag höher als im Jahr davor. Denn mit 1. Jänner 2012 erhöhte die Landesregierung per Verordnung den Tarif für die Entfernung eines Rades von 48 auf aktuell 60 Euro, jenen für die tägliche Verwahrung von zwei auf sechs Euro. Die Erhöhung sei nötig geworden, "um einen wichtigen Schritt in Richtung Kostendeckung zu erzielen", heißt es dazu in einem Leistungsbericht 2011 der MA 48.

Sauberkeit ist kein Geschäft

Dass der Verwahrtarif für Räder gleich verdreifacht wurde, geht auf eine Empfehlung der Kostenrechnung zurück, sagt Volk. Dass nun der Betrag gegenüber dem Tarif für abgeschleppte Kraftfahrzeuge auf den ersten Blick unverhältnismäßig erscheint, räumt Jurkovits ein.

Denn obwohl es ein Vielfaches an Raum beansprucht, kostet die Lagerung eines Pkws, Anhängers oder mehrspurigen Motorrades mit neun Euro pro Tag nur drei Euro mehr als die eines schlanken Fahrrads. "Aber man darf nicht nur die belegte Fläche berechnen. Die Kosten für Personal, Strom und die ganze Infrastruktur muss ja unabhängig davon gedeckt werden", sagt Jurkovits. "Glauben Sie mir, die Stadt sauber zu halten, das ist alles andere als ein Geschäft." (Michael Matzenberger, 15.6.2015)