"Il trionfo del Tempo e del Disinganno" am Landestheater Linz.

Foto: Yasmina Haddad / Landestheater Linz

Linz – Wer die Mitte des Lebens erreicht hat und bei Hildegard Knefs Von nun an ging’s bergab berechtigterweise mitbrummen darf, für den kommt Händels Il trionfo del Tempo e del Disinganno gerade recht. Message: Alle Schönheit ist vergänglich! Vergnüge dich nicht, entsage! Denn nur das bringt’s: und zwar den Platz im Himmel.

Wem das alles verdammt katholisch verkommt: passt. Librettist dieses Oratoriums war der römische Kardinal Benedetto Pamphilj. Man schrieb das Jahr 1707, und der kunstsinnige Kleriker und ein sächsischer Jungspund mit Namen Georg Friedrich Händel machten gemeinsam in Sachen Musiktheater. Da Oper gerade verboten war, gossen die zwei ein allegorisches Ringen von Zeit (Tempo), Vergnügen (Piacere) und Enttäuschung (Disinganno) um die Schönheit (Bellezza) in das Gefäß des Oratoriums.

Gegenwartsnah und etwas krampfig popkulturell

André Turnheim – er hat hier am Landestheater 2014 die tolle Uraufführung von Ernst Ludwig Leitners Oper Fadinger inszeniert – hat dieses Frühwerk Händels in der subterrestrischen Blackbox szenisch umgesetzt, als erste Musiktheater-Kooperation zwischen dem Landestheater Linz und der Anton-Bruckner-Privatuniversität. Alles sehr gegenwartsnah und etwas krampfig popkulturell hier: In einer verspiegelten Bar (Ausstattung: Florian Parbs) matchen sich Heath Ledgers Joker (Tempo), Mickey Mouse (Piacere), eine Go-thik-Domina (Disinganno) um ein Sarah-Jessica-Parker-nahes Girlie (Bellezza). In der Mitte der Szene sitzt eine alte, noble Frau (Irmgard Paulis), die das Publikum und das Treiben um sie herum betrachtet.

In der zweiten Premiere des szenischen Oratoriums schlagen sich die Studenten der Bruckner-Uni beachtlich: Ilia Vierlinger ist eine energische, koloratursichere Bellezza, Silke Redhammers Piacere hat Durchschlagskraft. Kerstin Eder bringt als Disinganno die sinnlichste Stimme ein, Markus Stumpner (Tempo) setzt auf monodynamische Festigkeit.

Schlichtweg traumhaft ist, was Martin Braun hinter der Szene mit dem Sinfonieorchester der Bruckner-Privatuniversität aufführt. Diese mitreißende Vitalität, diese Präzision und Elastizität, dieser Reichtum an Farben und Affekten, diese Sinnlichkeit: erstklassig, super. Große Kunst. In leiser Exzellenz thront derweil Irmgard Paulis mit einem milden, wissenden Mona-Lisa-Lächeln inmitten der Szene. Eine Kostbarkeit. Balsam. Als Bellezza des hohen Alters lässt Turnheim sie zum Ende Nietzsche sprechen; dessen Sätze über den menschlichen Gottesverlust geben der Inszenierung dann noch jene Tiefe, die der Figurenzeichnung abgeht. (Stefan Ender, DER STANDARD, 4.5.2015)