Bild nicht mehr verfügbar.

Blumen für unbekannte Tote in Msida auf Malta.

Foto: ap/Alessandra Tarantino

Man stelle sich das vor: Eine Familie in Syrien, Eritrea oder Somalia spart tausend Euro und mehr in der Hoffnung auf ein besseres Leben, auf ein Überleben. In der Hoffnung, dass einer dem Teufelskreis entkommt und im reichen Europa selbst zu Reichtum findet, der dann wieder zurückfließt und auch das Leben der anderen Familienmitglieder verbessert. In der Hoffnung, dass es einer schafft und die anderen ebenfalls herausholt.

Wie groß muss die Hoffnung sein?

An einem Sonntag im April starben mehr als 750 Flüchtlinge. Schlepper überfüllten das Boot rücksichtslos, sperrten Hunderte in den Laderaum. Bilder von Leo und Kate auf der Titanic kommen hoch, ohne Happy End, versteht sich. Unvorstellbares Leid. Ebenfalls unvorstellbar, dass sich trotz der Tragödien, die das Mittelmeer in ein Massengrab verwandeln, dennoch jeden Tag Menschen auf den Weg machen und den Schleppern in die Falle tappen. Wie groß muss diese Hoffnung sein, die die Menschen antreibt?

Das italienische Rettungsprogramm für Flüchtlinge, "Mare Nostrum", hat laut Caritas 22 Cent pro EU-Bürger im Jahr gekostet. "Mare Nostrum 2.0" ist unabdingbar. Es braucht Rettungsboote, Rettungsringe, Menschen, die sich um jene kümmern, die in ihrer Flucht die einzige Chance sehen. Es braucht auch härtere Strafen für Schlepper und eine durchdachte und sicher nicht repressive Grenz- und Migrationspolitik.

Mehr Engagement in Herkunftsländern

Was es auch braucht, ist der Versuch, sich noch mehr und noch besser in den Herkunftsländern zu engagieren. Etwa die Information über die Tragödien noch mehr zurückzuspielen, sodass die Menschen um das Risiko wissen und sich vielleicht mit der Zeit eine realistischere Einschätzung von der Flucht über das Mittelmeer, aber auch vom Leben in Europa etabliert.

Das Bild vom Paradies Europa

Meine Erfahrungen in Ostafrika sind keineswegs mit den Kampfzonen in Syrien vergleichbar, doch in Gesprächen mit vielen Menschen über die Jahre habe ich in Ostafrika kaum jemanden getroffen, der Kritik an Europa geübt hätte oder sich vorstellen konnte, dass auch hier nicht alles paradiesisch ist. Das Bild ist geprägt von Hollywood-Filmen, von der Idee, dass man schnell und einfach reich wird und alle eine Chance haben.

Im Vergleich zum Tod ist selbst die kleinste Chance auf Überleben jede Hoffnung wert. Und dennoch: Wie schnell sind diese tausend Euro und mehr in den Händen der Schlepper angesichts der Umstände nichts mehr wert und damit jegliche Hoffnung verloren? Wie viele sind sich dessen wirklich bewusst? Trotz teilweise entsprechend anderer Medienberichte stelle ich aufgrund persönlicher Erfahrung die Behauptung auf: Ein Großteil der Flüchtlinge hat kaum eine Vorstellung davon, was die Flucht und ein Leben in Europa mit sich bringen.

Die Risiken der Flucht erzählen

Vielleicht könnte man hier mit Aufklärungskampagnen ansetzen. Nicht aus Angst vor der "Überschwemmung Europas durch Flüchtlinge", sondern in dem Versuch, die Risiken der Flucht zu kommunizieren und damit vielleicht auch zu minimieren. In der Hoffnung, dass durch das Aufzeigen der Machenschaften der Schlepper nicht nur in Europa, sondern auch in den Herkunftsländern diese zunehmend unter Druck geraten und, wenn sie schon Menschen schmuggeln, das zumindest menschlich tun.

Die Familien der Flüchtlinge sitzen zu Hause und warten und erfahren in den meisten Fällen wohl nichts über das Schicksal ihrer Angehörigen, die ertrunken sind. Die Hoffnung schwindet und wird womöglich noch ersetzt durch Bitterkeit, dass diese jetzt das gute Leben erfahren, während man daheim weiterhin leidet. Und dann rafft man sich auf, wieder wird Geld zusammengespart und der Nächste geschickt. Weil die Hoffnung eben doch zuletzt stirbt. (Patricia Otuka-Karner, 7.5.2015)