Alte Zeitungen und Flugblätter der ÖH-Fraktionen enthüllen Positionen und Proteste von den Anfängen bis in die 1990er-Jahre. Neun Themen zeigen, was die ÖH-Vertreter bewegte.

Punkt 1: Österreicher sein, aber wie?

In der Nachkriegszeit herrscht in der ÖH noch einige Verwirrung über Staatsgrenzen, Staatszugehörigkeit und Staatsform. Die Union Österreichischer Akademiker bekennt sich in dem Band "15 Jahre ÖH" stolz zur Vergangenheit Österreichs – die jüngere Geschichte wurde dabei vernachlässigt. Auch der RFS war 1955 noch nicht ganz in der politischen Realität angekommen: "Es ließ sich immer schon eine loyale Einstellung zu unserem österreichischen Staat damit vereinbaren, ein guter Deutscher zu sein." Die Österreichische Landmannschaft blickt indessen nicht nostalgisch zurück, sondern positiv nach vorne, in eine soziale Monarchie der Zukunft.

Punkt 2: Marx ist überall

Der Säulenheilige der linken Fraktionen zieht sich als dunkelroter Faden durch Positionspapiere und Wahlforderungen. Die Fraktionen KSV und KSV Lili, aber auch die temporäre Gruppe revolutionärer Marxisten finden in Marx' Schriften ihre ideologische Heimat. Auch der VSStÖ wird von seinen Gegner noch in den 1960ern konsequent als marxistische Partei gehandelt.

Er taucht aber nicht nur dort auf, wo man ihn erwartet. Die ÖVP-nahe ÖSU liebäugelt 1976 mit der Lehrveranstaltung "Einführung in die marxistische Wirtschaftstheorie". Der KSV steigert die Forderung und wünscht sich echte Marxisten an der Universität, nicht bloß Marxologen. Dagegen ist Marx ein rotes Tuch für die konservative Fraktion Junge europäische Studenteninitiative. Ihr Wahlkampfplakat: "Seit dem 7. Oktober 1974* rotiert Karl Marx im Grab (*Jes Gründung)"

Punkt 3: Tausche Leistung gegen Leben

ÖH-Fraktionen hatten über die Zeit ein ambivalentes Verhältnis zur Leistung der Studenten. Einmal bildet der Leistungsdruck die Ketten der Wissenschaft, einmal die unabdingliche Grundlage des Universitätswesens , nein – des Lebens: "Nur der Tüchtige und weltanschaulich Gefestigte kann im Lebenskampf bestehen", schreibt der KV Anfang der 1960er. Am anderen Ende des Spektrums siedelt sich in den 1980ern ausgerechnet die ÖVP-nahe ÖSU an. Die Grazer Splittergruppe beklagt das Bildungssystem, das nur auf Leistung als Erfüllung von Befehlen basiert. An der TU 1980 fordert die Fraktion sogar die ersatzlose Abschaffung aller Fristen und Noten. Ihr Erfolg war begrenzt.

Punkt 4: Ping-Pong spielen mit der Mädchengruppe

Der steigende Frauenanteil an den Unis machte sich zunächst schleppend bemerkbar. Vielleicht liegt es daran, dass sich 1955 politisch aktive Studentinnen als "Mädchengruppe" bezeichneten. Die Studentinnen vom Ring Freiheitlicher Studenten bieten in den 1950ern neben Diskussionsrunden eine bunte Palette an Aktivitäten: einen Ping-Pong-Tisch, einen Gymnastikkurs und auch Beschäftigung mit dem Gebiet "das wohl jede Frau interessiert – die Mode".

Fast 20 Jahre später erklärt eine Mädchengruppe der Männeruniversität den Krieg. Mit der "Liste unabhängiger Studentinnen" tritt Marlene Streeruwitz für die "Anpassung des Lehrstoffs an die praktischen Bedürfnisse der Frau" ein. Was auch immer diese praktischen Bedürfnisse waren, sie sind damals nicht in der Praxis angekommen. Einen Tag vor der Wahl bildete eine Fraktion der ÖSU eine weitere Frauenliste unter dem exakt gleichen Namen. Die kleine Intrige führte dazu, dass letztlich beiden Listen der Erfolg verwehrt blieb.

Punkt 5: Kartoffel klauben für Sozialleistungen

Dass sie nicht arbeiten, konnte man den Studenten auch in den späten 1940ern nicht vorwerfen. Immerhin bekamen sie einige Sozialleistungen vom Staat nur, wenn sie beim berüchtigten Ernteeinsatz ihre Finger auf den Feldern am Land schmutzig machten. Von einem kostenlosen Studium war die Regierung noch entfernt, die Idee galt quasi als kommunistisches Gedankengut – deshalb kam die Forderung auch vom frühen KSV. Dafür setzte sich der VSStÖ erfolgreich dafür ein, dass nicht mehr für Prüfungsantritte gezahlt werden musst.

Auch Mobilität ist wichtig. Immer wieder taucht das ominöse Freifahrts-Ticket in Wahlplakaten auf, um wechselweise eingeführt oder abgeschafft zu werden. In Klagenfurt hätte sich das bis 1987 sowieso nicht richtig ausgezahlt: Nach Verhandlungen gelang es der AG, dass dort zumindest stündlich ein Bus zur Universität fuhr.

Punkt 6: Ein Zimmer für die Gattin

Schön, wenn Einigkeit herrscht. Von Innsbruck bis Wien waren Heimplätze immer schon zu selten, zu teuer, und die Studenten litten unter der Willkür der Betreiber. Der RFS wurde 1957 bei der Stadt Wien vorstellig, weil nicht nur bei den Studenten Wohnplätze fehlten. Auch Professoren lehnten Stellen ab, da sie keine geeignete Bleibe im Nachkriegs-Wien fanden. Ein gewisser Dr. Schrödinger hatte es in Wien bei der Wohnungssuche (mit Katze?) nicht leicht gehabt, wie der Ring berichtet. Als Ausweg wurde ein Studentenviertel im ersten Wiener Gemeindebezirk angedacht.

Die VSStÖ in Linz interessiert das Wie 1994 stärker als das Wo. Sie setzt sich für Unisex-Heime und Heimplätze für Ehepaare ein, um der "problematischen psychischen und sexuellen Situation der Studenten" Abhilfe zu schaffen. Ihr Wahlslogan: "Für Sozialismus, Sex und Stips".

Punkt 7: Ein Ferkel gegen das Bundesheer

Neutral zu werden hat Konsequenzen. Für den männlichen Teil der Studentenschaft hieß das konkret, dass die Wehrpflicht wieder einsetzte. Das Militär entwickelte sich später noch zum Streitpunkt, als nämlich die Friedensbewegung der 68er-Jahre in den USA in Österreich mit zwei Jahren Verspätung ankam. Ein Pro-Bundesheer-Kampagne von Günter Nenning erhielt eine besondere Antwort: Die VSStÖ in Salzburg setzten als Zeichen des Protests ein mit Fett eingeschmiertes Ferkel bei einer Militärparade frei. Das gut geschmierte Schwein glitt den anwesenden Soldaten und Polizisten buchstäblich durch die Finger und veranlasste KSV und VSStÖ-Zeitungen zu verzückten Kommentaren.

Punkt 8: Weltfrieden wäre schön

Der durchschnittliche Student der 1970er war ein Mensch von Welt, dessen politisches Verständnis nicht an den Landesgrenzen und schon gar nicht nur an den Mauern der Hochschule endete. In den Zeitschriften und Flugblättern der ÖH-Fraktionen findet sich der Leser bald in Chile, in Afghanistan, vor allem aber im Vietnam wieder.

Der RSF Innsbruck beschäftigt sich schon 1955 viel mit dem Ausland. In seinem Tätigkeitsbericht geht es fast ausschließlich um den Studentenaustausch, der "eine Grundlage zur Verständigung der Völker" schaffen soll. Der Grazer Arbeitskreis der ÖSU will später in Österreich eine waffenfreie Zone etablieren, der KSV solidarisiert sich indessen mit allen kommunistischen Ländern der Welt. Globalisierung wird weniger geschätzt. In den späten 1960ern bezeichnet die VSStÖ Österreich als faktische Neokolonie, ein Exportland mit billigen Arbeitskräften. Die Hochschulen nehmen darin die Rolle der Fabriken lohnabhängiger Fachidioten ein.

Punkt 9: Die Revolte und ein Ausflug

Volle Hörsäle sind keine Erfindung des Bologna-Prozesses. Glaubt man den Zeitschriften der ÖH-Fraktionen sind sie eine Grundkonstante des Studierens. Auch der Kampf um (zu hohe) Studiengebühren erfolgt in Wellen: Ein Sitzstreik in den 50igern, Ein einwöchiger Hochschulstreik in den 60ern, Hörsaal-Besetzungen in den 90ern und 2000ern.

Nicht jede Fraktion und Institutsgruppe beteiligte sich gerne an Protesten. ÖH-Vertreter an der Universität für Veterinärmedizin Wien fahren am protestreichen 1. Mai 1968 lieber ins Grüne und fassen den Ausflug in Reime:

"Wie luden uns in Autos ein

und fuhren nach Burg Kreuzenstein.

Die Fohlen dort in dem Gestüt

erregten unser zart Gemüt."