Der griechische Premier Alexis Tsipras hat bisher für keine seiner Entscheidungen derart viel Lob im Ausland erhalten wie für die angebliche Demontage seines Finanzministers Yanis Varoufakis. Anfang der Woche ließ Tsipras ausrichten, dass Varoufakis nicht länger die Gespräche mit den Geldgebern der Griechen leiten werde. Ein neuer Koordinator wurde dafür in Athen bestellt.

In der Interpretation dieses Vorgangs herrschte in zwei Punkten Übereinstimmung: Der Schritt wurde als eine totale Entmachtung des streitbaren Finanzministers gewertet und für längst überfällig befunden. Varoufakis habe "zu viel geredet und zu wenig Substanzielles gesagt", urteilte die "NZZ". Er habe zum "x-ten Mal politische Grundsatzdebatten führen" wollen "statt endlich ein Konzept vorlegen", schrieb das "Wirtschaftsblatt". Die "Süddeutsche" war voller Lob, weil nun Provokationen durch "vernünftige Verhandlungen" ersetzt würden.

Sollte diese Woche in Athen tatsächlich der Weg für die Absetzung des Ministers geebnet worden sein, wäre das schade. Vor allem für Europa.

Denn Varoufakis' Auftreten war in vielerlei Hinsicht entlarvend dafür, was in der Eurokrise aktuell schiefläuft. Das beginnt schon beim Vorwurf seiner Amtskollegen und mancher Medien, der Grieche wolle im Kreis der Finanzminister ständig nur Grundsatzdebatten führen und nutze das Plenum für "Vorträge" (Varoufakis ist Uni-Professor).

Gegenfrage: Wann ist es ein Tabu geworden, im Kreis von Ministern über politische Grundsatzfragen zu debattieren? Warum sollten sich Politiker nicht ausreichend Zeit nehmen, um darüber zu diskutieren, wie und ob Europa weiter sparen muss oder ob ein Kurswechsel nötig ist?

Die Frage ist wichtig genug.

Natürlich müssen Finanzminister auch über Sachthemen sprechen, darüber diskutieren, ob Sparvorgaben von den Griechen und anderen Ländern eingehalten wurden oder nicht.

Aber das allein darf es nicht sein. Jene Runde, in der die wichtigsten Entscheidungen im Kampf gegen die Krise getroffen werden, darf nicht als reiner Technokratenklub agieren. In den vergangenen Monaten haben die Finanzminister genau diesen Anschein erweckt: Sie haben viel und fleißig gearbeitet, neue Gesetze zur Bankensicherheit und Finanzstabilität auf den Weg gebracht. Aber das meiste davon sind komplexe, von Beamten ausgearbeitete Vertragswerke, die in der Öffentlichkeit auf wenig Interesse gestoßen sind.

In dieser Hinsicht hat Varoufakis frischen Wind in die Runde gebracht. Er hat die Diskussionen belebt, gezeigt, dass es alternative Herangehensweisen zu den politischen Debatten auf höchster Ebene gibt. Politik in einer Demokratie soll und muss die Menschen, wenn schon nicht begeistern, so wenigstens überzeugen und für sich gewinnen. Varoufakis' lockere Umgangsformen und seine legere Art haben bei vielen jungen Menschen in Europa Sympathie geweckt. Dabei vertritt er Positionen, die zwar anecken, aber zu einem vereinten Europa passen: Er bekennt sich zur EU, zum Euro.

Durch einen Handschlag mit Varoufakis könnten die übrigen Finanzminister beweisen, dass sie offen für alternative Zugänge sind. Und es wäre ein starkes Symbol für die Einigkeit auf dem Kontinent: "Wir sind noch so sehr unterschiedlicher Meinung, aber am Ende werden wir uns einigen."

Das betrifft nur die symbolische Ebene, und natürlich muss es auch um inhaltliche Fragen gehen. Sicher ist, dass Europas Antikrisenstrategie eine Neuausrichtung braucht. Und da hat Varoufakis mit vielem, was er sagt, recht. Etwa wenn er warnt, dass der Sparkurs in Griechenland bisher nicht funktioniert hat. Nun wird der Rest der Eurozone nicht alles über Bord werfen, was man bisher vereinbart hat. Manches war auch nicht falsch, wie der Versuch, Wettbewerbsfähigkeit in Südeuropa über Lohnanpassungen wiederzuerlangen. Aber allein Gehälter und Staatsausgaben zu streichen ist zu wenig. Wenn sich der deutsche Finanzminister Schäuble und Varoufakis inhaltlich einigen könnten – vielleicht ein Treffen in der Mitte? –, wäre Europa einen Schritt weiter.

An dieser Stelle werden viele einwenden, dass der Grieche ja keine inhaltlichen Konzepte hat. Man könne sich mit ihm nicht einigen, weil die neue Syriza-Regierung bisher eben keine Reformvorschläge auf den Tisch gelegt hat. Das ist nicht ganz falsch.

Aber auch hier eine Gegenfrage: Was sind die Konzepte aus dem übrigen Europa? Danach gefragt, was nun in Athen geschehen müsse, sagten die für Griechenland zuständigen Experten im Internationalen Währungsfonds (IWF) unlängst, dass die Stärkung des Wettbewerbs der Schlüssel zum Erfolg sei. Abgeschottete Sektoren wie jener der Apotheker und Anwälte müsste geöffnet werden. Wer glaubt, ein Land, in dem fast jeder Dritte arbeitslos ist und dessen Wirtschaftsleistung in den vergangenen fünf Jahren um ein Fünftel eingebrochen ist, mit mehr Wettbewerb bei Anwälten und Apothekern sanieren zu können, verbreitet keine Konzepte, sondern Ideologie. An neuen Ideen und Strategien tüfteln muss also ganz Europa. Dabei einen Ökonomen vom Schlag des Griechen mit am Tisch sitzen zu haben wird nicht der größte Fehler sein. (András Szigetvari, derStandard.at, 1.5.2015)