IT-Riese Microsoft hat am Mittwochabend den Beginn seiner alljährlichen Entwicklerkonferenz "Build" in San Francisco eingeläutet. Diese steht ganz im Zeichen des bevorstehenden Starts der nächsten Generation des Windows-Betriebssystems, Windows 10. Eröffnet wurde die Veranstaltung vom neuen CEO Satya Nadella, der die wiederentdeckte Rolle des Unternehmens als Plattform- und Serviceanbieter betonte.

Microsofts Aufgabe sei es, Werkzeuge bereit zu stellen, die Menschen dabei helfen, sich zu verwirklichen. Er erinnerte an den ersten Programmcode, den Bill Gates und Paul Allen damals gemeinsam geschrieben hatten und erzählte von seinen Begegnungen mit Entwicklern aller Altersklassen, etwa einem jungen Mädchen aus New York, das einen stiegensteigenden Roboter gebaut hatte. Man wolle Brücken zu bauen, so Nadella in einer Referenz, die sich auch auf San Francisco bezieht.

Foto: Microsoft

Wie Microsoft-Technologie und die Windows-Plattform bei der Verwirklichung kreativer Ideen helfen kann, demonstrierte der Musiker David William Hearn. Er führte auf der Bühne StaffPad vor, eine App, die es ermöglicht, auf Geräten mit Stifteingabe dank Handschrifterkennung einfach Musikstücke zu schreiben.

Um die Veränderungen von drei Plattformen solle es heute gehen, erklärte Nadella zum Abschluss seiner Eröffnung. Die Azure-Cloud, Office und Windows.

Azure wächst weiter

Den Anfang machte Azure, das Microsoft zur "intelligenten Cloud" ausbauen möchte. Die Pläne für diese Plattform legte Scott Guthrie dar, der als Chef des Cloud- und Enterprise-Geschäfts in die Fußstapfen Nadellas tritt.

Über 500 neue Features habe Azure in den letzten 12 Monaten gewonnen, so Guthrie. Mittlerweile gibt es um den Globus verteilt 19 "Compute Regions" (Rechencluster), mehr als etwa der stark im Cloudbusiness präsente Amazon-Konzern bieten könne. Pro Monat gewinnt Azure laut dem Manager mittlerweile 90.000 neue Kunden. In der Microsoft-Cloud werken überdies schon 1,4 Millionen SQL-Datenbanken mit über 50 Billionen Speicherobjekten. Und drei Millionen Entwickler arbeiten mit Visual Studio Online.

Foto: Microsoft

Mehr Open Source und Multiplattform

Auch die eigenen Open Source-Anstrengungen vertieft das Unternehmen. Nachdem Microsoft bereits Docker in seine "Wolke" integriert hat, folgt nun .NET Core für Windows, Linux und OS X.

Vom Multi-Technologiekonzern 3M gab es Lob für den Azure Apps-Dienst, der es ermögliche, an einem Wochenende eine App zu bauen, über Azure auszurollen und am Montag bereits dem Sales-Team vorstellen zu können. Dabei geht es nicht nur um einfache Tools, sondern durchaus komplexe und grafisch anspruchsvolle Anwendungen, wie anhand eines über Azure laufenden 3D-Models auf einem Windows 10-Rechner gezeigt wurde.

Zu den Komponenten gehört unter anderem ein Android-Emulator in Visual Studio. Entwicklern ermöglicht dieser, ihre Programme in Echtzeit sowohl auf Windows Phone, als auch auf Googles mobilem System zu testen. Die Erleichterung der Cross-Plattform-Entwicklung ist ein Schritt, der sich schon länger angedeutet hatte.

Foto: Microsoft

Visual Studio Code

Mit "Visual Studio Code" bringt Microsoft eine neue, im Vergleich zur Normalversion von Visual Studio allerdings reduzierte, Entwicklungsumgebung auf Windows, Linux und OS X. Die Software ist kostenlos erhältlich, der Download soll im Anschluss an die Build-Eröffnung verfügbar werden.

Die SQL-Datenbankdienste von Azure erhalten neue Funktionen: Transparent Data Encryption, einen elastischen Datenbankpool sowie eine Volltextsuche. Das Cloud-Repertoire wird um zwei weitere Dienste erweitert: SQL Data Services und SQL Data Lake. Sie sollen die Skalierung und Verwaltung von Datensätzen und Anwendungen stark erleichtern und den Kunden dynamisch die benötigte Rechenkraft für ihre Aufgaben zur Verfügung stellen.

Vorteile bringt dies etwa für Firmen wie JustGiving, eine in Großbritannien ansässige Plattform für die Umsetzung von webbasierten Sozial- und Spendenprojekten, die Kampagnen mit unterschiedlichen Anförderungen, variierenden Größen in diversen Ländern verwaltet. Dank der von Maschinenlern-Algorithmen gestützten Azure-Features können neue Kampagnen einfach in ihrer Funktionsweise individualisiert werden.

Foto: Microsoft

Office mit Cross-Platform-Add-Ins

Viel Neues gibt es auch für Office zu vermelden. Auch die Produktivitäts-Suite folgt in Zukunft stärker einem Plattform-Modell. Entwickler können, wie Anhand von Word 2016 demonstriert wurde, Add-ins schreiben, die im Browser, unter Windows oder auch in iOS funktionieren. Die Suite wird sich künftig einfach an diverse Webdienste anbinden lassen. Zu den Partnern zum Start gehört unter anderem der Transportdienstleister Uber. Hier lassen sich Fahrten künftig auch über den Outlook-Kalender buchen und sogleich als Erinnerung setzen.

Für Erheiterung sorgte ein kleines Missgeschick. Denn der Präsentator für die Outlook-Integration hatte seine Benachrichtigungen nicht ausgeschalten, während gleichzeitig die verwendete E-Mail-Adresse sichtbar war. Das animierte einige Zuseher dazu, ihn mit E-Mails zu bombardieren, deren Betreff (unter anderem "Send me the drugs!!!") schließlich im Vordergrund aufpoppte.

Foto: Microsoft (via The Verge)

Auch bei Skype tut sich etwas. Für Entwickler wird eine Skype Web Telepresence API geöffnet und im weiteren Verlauf der Build ausführlich vorgestellt.

Windows 10

Schließlich gelangte die Präsentation bei Windows 10 an, das laut Nadella nicht nur eine Version, sondern "eine neue Generation" der Plattform bzw. Software darstellt. Terry Myersion informierte schließlich über die weiteren Pläne. Man verfolgt ambitionierte Ziele. Binnen 2-3 Jahren nach dem Launch von Windows 10 soll es auf einer Milliarde Geräte laufen.

Windows 10 solle die "attraktivste Entwicklungsplattform aller Zeiten" werden. Die Voraussetzungen sollen durch Features wie Cortana, der Möglichkeit Apps für Geräte verschiedenster Kategorien zu schreiben und auch für Augmented Reality umzusetzen. Universal Apps für PC, Tablet, Smartphone und Xbox nutzen die gleiche Codebasis und lassen sich einfach für jede einzelne Plattform anpassen. Ihren Status können sie in der Cloud hinterlegen, sodass Nutzer auf jedem Gerät dort fortsetzen können, wo sie die App zuletzt geschlossen haben.

Michael Wieczorek

Vier neue Wege will Microsoft bieten, um bestehende Anwendungen auf Windows und in Microsofts Store zu bringen. So sollen Webseiten in Zukunft als App auf Windows 10-Systemen laufen können, wahlweise als Browser App oder als natives Programm, das dann auch Gebrauch Windows-Features wie Cortana oder dem Benachrichtigungssystem machen kann. Auch In-App-Käufe werden auf diesem Wege abgewickelt werden können

Auch schon existierende Windows-Software wird sich einfach in den Windows Store bringen lassen. Zu diesem Zweck hat Microsoft das .NET-Framework und Win32 in den Marktplatz integriert.

Foto: Microsoft

Android-Subsystem

Einen großen Schritt setzt man mit der Integration eines Android-Subsystems in Windows 10, das weitestgehend vollständig mit dem Java- und C++-Code von Android-Apps umgehen können soll. Dies soll die Portierung von Apps für Windows-Plattformen massiv erleichtern. Außerdem gehört auch Objective C künftig zum Repertoire, sodass sich mit Visual Studio in Hinkunft auch iOS-Programme schnell für Windows umsetzen lassen.

Anwendungen aus dem Store sollen in Zukunft schnell installiert sein und sich auch spurlos wieder entfernen lassen. Sie laufen künftig in einer eigenen, vom Kernsystem getrennten Umgebung. Zu den ersten großen Unterstützern zählt Adobe, das den Photoshop über die Plattform vermarkten wird.

Carrier Billing für Windows Store

Der Windows Store unterstützt neben Kreditkarten künftig auch das chinesische AliPay sowie das Bezahlen über die Mobilfunkrechung (Carrier Billing) wird über alle Geräte ermöglicht. Letzteres soll vor allem den Verkauf von Apps in den aufstrebenden Schwellenmärkten ankurbeln, wo diese Bezahlmethode sehr populär ist. Unternehmen und Organisationen können das für Mitarbeiter, Schüler und Studenten verfügbare Store-Angebot anpassen und zusätzliche Bezahlwege für Firmen nutzen.

Spotlight

Joe Belfiore stellte schließlich neue Features für Windows 10 vor. So soll das Startmenü künftig automatisch helfen, die Übersicht über neu installierte und oft genutzte Apps zu bewahren. Der Sperrbildschirm wird mit "Spotlight" aufgepeppt und kann den Fotogeschmack des Nutzers erlernen und den Hintergrund regelmäßig mit immer besser passenden Aufnahmen befüllen. Die Funktion soll auch daran erinnern, noch nicht ausprobierte Windows-Funktionen zu testen und mit Hilfe kurzer Anleitungen auch als eine Art "sanftes Tutorial" fungieren.

Spotlight gibt auch Vorschläge basierend auf den Kapazitäten des jeweiligen Gerätes. Wer etwa ein Surface-Tablet verwendet, könnte einen Hinweis auf eine gute Zeichen-App mit Stift-Support erhalten. Der Dienst ist allerdings optional und kann jederzeit abgeschalten werden.

Foto: Microsoft

Cortana

Die Sprachassistentin Cortana hat eine neue Oberflächer erhalten, die ein Menü für schnellen Zugriff auf die wichtigsten Einstellungen mitbringt. Dazu wurde ihr Handlungsspielraum erweitert. Sie versteht nun neue Befehle in natürlicher Sprache und kann sie bis zu einem gewissen Grad in Kontext setzen. So versteht sie künftig etwa das Kommando "Sage Terry Myerson über Viber [Anm.: eine Messenger-App], dass ich zu spät komme."

Aus "Spartan" wird "Edge"

Enthüllt hat Microsoft nun auch den finalen Namen für das Browser-Projekt "Spartan". Wie seine Browser-Engine wird das Surftool den Namen "Edge" tragen. Er unterstützt Web Extensions, wobei sich bereits bestehende Erweiterungen für Googles Chrome-Browser mit wenigen Änderungen für Edge umsetzen lassen sollen.

Erweiterungen werden in einer eigenen Toolbar gelistet. Microsoft hat zudem die Tab-Übersichtsseite überarbeitet.

Michael Wieczorek

Continuum

Ausgeweitet wurde weiters Continuum, Microsofts Konzept dafür, wie sich Windows und Windows-Apps über verschiedene Geräte mit unterschiedlichen Bildschirmgrößen und Eingabegeräten nutzen lassen. Demonstriert wurde, wie etwa ein Tablet beim Anschluss an ein Keyboard-Dock auf die Desktopoberfläche umstellt oder Anwendungen vom Maus-optimierten Interface auf eine fingerfreundliche Oberfläche wechseln, wenn man die Tastatur wieder absteckt. Von anderen mobilen Systemen hat sich Windows 10 den "Zurück"-Button geborgt, der künftig dauerhaft eingeblendet wird.

Das Konzept wird auch auf Windows-Smartphones ausgeweitet, die beim Anschluss an einen Bildschirm praktisch zu einem kleinen Desktop-PC werden, der sich mit Keyboard und Maus bedienen lässt, wobei sich der Touchscreen des Smartphones alternativ auch als Mauspad einsetzen lassen wird. Auch Apps stellen entsprechend um, wie in einer vorgefertigten Demonstration gezeigt wurde.

"Dafür brauchen wir neue Hardware", erklärte Belfiore, ein Punkt auf den Microsoft erst später weiter eingehen möchte. Die Vision, so der Manager, sei es, auch auf Telefonen "die volle Windows-Erfahrung" bieten zu können.

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: AP

Hololens

Die von vielen erwartete Demonstration der AR-Brille Hololens und Windows Holographic durch Kinect-Erfinder Alex Kipman hob sich Microsoft für den Schluss auf. Gezeigt wurde, wie sich Windows-Apps als virtuelle Hologramme nutzen lassen. Der User soll sich dabei eine persönliche Umgebung, inklusive Startmenü, konfigurieren können. Die Brille merkt sich dabei, wo welche Augmented-Reality-Elemente "abgestellt" wurden.

Sie können auch nach Belieben neu platziert werden. Mit dem Befehl "Folge mir" kann eine gerade laufende App, etwa der Videoplayer, angewiesen werden, dem Nutzer zu folgen, um an anderer Stelle abgelegt und auch nach Belieben in der Fenstergröße skaliert zu werden. Dies soll prinzipiell mit jeder Universal App möglich sein, ohne dass diese speziell für Windows Holographic adaptiert wurde.

Chris Burns

Einsatzmöglichkeiten

Auch im Arbeitsumfeld solle Hololens ein "neues Paradigma" schaffen. Als konkrete Anwendungsfälle zeigte man Anwendungen aus dem Baubereich. Architekten werden mithilfe der Brille gemeinsam an dreidimensional im Raum abgebildeten Objekten arbeiten können – bis hin zur virtuellen Hausbegehung.

Mögliche Einsatzzwecke gibt es auch für Schulen und Universitäten. Als Beispiel diente eine App, die den menschlichen Körper abbildet und eine Betrachtung all seiner Bestandteile, bis hin zu animierten Organen und Blutgefäßen inklusive Erklärungen und Beschreibungen erlaubt. Hololens funktioniert dabei stets eigenständig und benötigt keine Verbindung zu einem PC. Sämtliche Hardware ist in die Brille verbaut, das Gerät vollständig portabel.

Foto: Microsoft

App-Entwickler werden ihre Hololens-Apps auch mit realen Dingen vernetzen können. So kann etwa ein echter Roboter, der mit Windows läuft, mit einem virtuellen Gegenstück interagieren und sein Verhalten auch an künstliche Umgebungen anpassen. Über deren Gegebenheiten wird er von der Brille informiert und kann so beispielsweise an Hindernissen vorbei navigieren, die ausschließlich im digitalen Raum existieren.

Um die Brille kennen zu lernen, können Build-Besucher in den kommenden Tagen vor Ort mit ihr experimentieren. Mehrere hundert Stück sollen dafür zur Verfügung stehen. Eine Reihe von Partnern konnte Microsoft bereits für Hololens gewinnen. An Bord sind beispielsweise die NASA, Autodesk, Disney und die Hersteller der 3D-Engine Unity.

Einen Erscheinungstermin für Windows 10 blieb Microsoft auf der Build-Keynote ebenso schuldig wie weitere Angaben zum Preis-Modell für Unternehmen. Für Privatnutzer gilt weiterhin, dass das System zumindest für ein Jahr ab Release als kostenloses Upgrade für Windows 7 und Windows 8 erhältlich ist. (Georg Pichler, 29.04.2015)

Foto: Microsoft