Die Wiener Ringstraße, deren 150-jähriges Bestehen heuer groß gefeiert wird, ist ein Triumph der Öffentlichkeit. Die öffentlichen Gebäude an diesem Boulevard stellen allen Glanz der damaligen Architektur zur Schau: Parlament und Rathaus, Universität, Museen und Theater. Sie repräsentieren die Würde des Staates und den Stolz seiner Bürger.

Heutige öffentliche Gebäude zeigen sich ganz anders. Sie sind in erster Linie große Shoppingmalls, ihre öffentliche Funktion tritt in den Hintergrund.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der neue Wiener Hauptbahnhof. Die Bahnhöfe der Gründerzeit wurden "Kathedralen der Moderne" genannt. Die Wiener Bahnhöfe, allen voran der inzwischen abgerissene Nordbahnhof, waren Paläste, prächtige Einfallstore für Besucher und Zuwanderer in die Haupt- und Residenzstadt. Ihr Nachfolger heißt "Hauptbahnhof-Einkaufscity" und lockt mit 90 Shops. Die Werbeflächen sind größer als die Fahrpläne. Und mitunter trifft man auf Reisende, die ratlos zwischen den Läden umherirren und fragen, wo man hier eine Fahrkarte kaufen kann.

Etwas Ähnliches entsteht auf der Landstraßer Hauptstraße, wo die neue Postzentrale gebaut wird, auch sie mit angeschlossenem Einkaufszentrum. Zutreffender könnte man sagen: Einkaufszentrum mit angeschlossener Post. Ein weiter Weg von den berühmten k. u. k. Postämtern mit ihrem charakteristischen kaisergelben Anstrich, die in der ganzen Monarchie unmissverständlich anzeigten: Hier ist ein öffentliches Gebäude. Hier ist der Staat.

Was sagen uns diese Veränderungen über unsere Gesellschaft? Weniger Staat, mehr privat. Kein Quadratmeter Grund, der keine Rendite abwirft. Auch die Straßenbahnen, öffentliche Verkehrsmittel, werden zunehmend zu kommerziellen Werbeflächen. Einkaufen ist die erste Bürgerpflicht. Geldausgeben ist Leben. Der Werbeslogan einer Drogeriekette bringt das, frei nach Goethe, schön auf den Punkt: Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein. Kritische Geister könnten den Gedanken weiterspinnen und schlussfolgern: Wer nicht kauft, ist kein Mensch.

Gibt es überhaupt noch öffentliche Orte in der Stadt, für deren Nutzung man nicht bezahlen muss? Die Grünen monieren, dass am Donaukanal immer mehr gastronomische Betriebe entstehen und die Bänke, auf denen man gratis einfach sitzen kann, aufs Wasser schauen, ein bisschen träumen, immer weniger werden. Statt ihrer kommen Liegestühle mit Konsumzwang.

Am deutlichsten wird der Wandel der öffentlichen Gebäude vom Bürgerpalast zum Konsumtempel bei den Bahnhöfen. Die Bahnhofsmission, noch vor einigen Jahren integraler Bestandteil jedes Großstadtbahnhofs, gibt es längst nicht mehr. Auch der Bahnhof als traditioneller Gastarbeitertreff ist Geschichte. Leute, die kein Geld ausgeben können oder wollen, braucht man hier nicht. Die Caritas baut deshalb in der Nähe des neuen Hauptbahnhofs ein eigenes Zentrum, denn auf dem Bahnhofsgelände ist für ihre Klienten kein Platz mehr. Die Botschaft der neuen öffentlichen Gebäude an die Bürger ist ziemlich eindeutig: Kauf was - oder schleich dich. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 30.4.2015)