Natürlich haben diejenigen, die hier in den letzten Wochen immer wieder posteten, dass man zum Laufen keine Wettkämpfe und keine Großevents braucht, absolut recht. Nur: Das Eine schließt das Andere nicht aus. Und wir leben in einer Welt, in der es mitunter möglich ist, dass mehrere Wahrheiten nebeneinander existieren. Mitunter sogar gleichzeitig und für ein und denselben Menschen.

Dann muss man die Umsetzung dieser Wahrheiten halt staffeln: Vor dem VCM wäre sich ein Abstecher nach Lissabon nicht ausgegangen - und wenn doch, hätte ich dort sicher keinen lockeren Stadtbesichtigungslauf mit 1001 Fotostops in meinem Trainingsplan untergebracht

Foto: Thomas Rottenberg

Aber so fügte es sich gut: Der Stehsatz, dass man nach einem großen Lauf pro zehn Wettkampfkilometern eine Regenerationswoche einplanen soll, bedeutet ja nicht, dass man da zum Couchpotato mutieren soll.

Ganz im Gegenteil. Nur will der Körper jetzt eben das Gegenteil von Druck und Stress - und freut sich über lockere und leichte Ausgleichsbewegungen. (Ganz nebenbei: Das wird mir, wenn ich kommende Woche beim "Wings for Life Worldrun" einfach nur mittrabe, unter Garantie wieder lustige "Er kann es nicht"-Postings eintragen. Na und?)

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Eine kurzer Städtetrip ist da ideal. Und wenn man statt in irgendeinem anonymen Hotel in einem kleinen, kaum zu findenden Airbnb-Quartier mitten in Alfama absteigt, ist sowieso alles fein.

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Lissabon liegt über ein paar Hügel gestreckt am Meer. Die Hügel sind nicht wirklich hoch: Maximal 226 Meter, habe ich in irgendeinem Reiseführer gelesen. Das ist - für Touristen - malerisch. Und anstrengend. Nicht nur beim Laufen - das tut man schließlich freiwillig.

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Aber die Vorstellung, mit einem Kinderwagen, schweren Einkaufstaschen, einem Rollator oder gar einem Rollstuhl jeden Tag in den engen und verwinkelten Gassen von Alfama unterwegs sein zu müssen: Nicht lustig.

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Aber ich bin ja Tourist. Und da ist dann der Blick von oben umso feiner. Erst recht am frühen Morgen - lange bevor hier Straßenhändler, Tuktuks und Touristenhorden eine solide Mauer aus Körpern, Lärm und Stadtgerüchen über das Panorama legen.

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Was am Laufen am frühen Morgen in einer Stadt wie Lissabon darüber hinaus fein ist: Es sind de facto keine Autos unterwegs, und man muss nicht am Gehsteig bleiben.

Gerade beim Bergablaufen macht das dann nicht nur richtig Spaß, es fühlt sich auch sicherer an als auf dem engen und uneben bis wackelig gepflasterten Kleinkopfsteinpflastertrottoir.

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Aber das ist nicht nur Jammern auf extrem hohem Touristenniveau, sondern auch rasch vorbei: Nach Alfama kommt Baixa. Ein Reißbrett-Stadteil, dessen Gebäude nach dem großen Erdbeben von 1755 so weit auseinander gestellt wurden, dass einstürzende Gebäude bei einem neuerlichen Erdstoß nicht alle, die auf die Straßen flüchten, zwingend erschlagen würden. Oder so ähnlich.

Und um das Erklimmen des nächsten Hügels einfacher zu machen, hat man - später - ein paar Aufzüge dazwischen gestellt. Der Berühmteste, der "Elevador de Santa Justa", wird tagsüber und abends von Touristen so belagert, dass die Locals doch wieder die Treppen gehen.

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Angeblich ist eine Geschichte über Lissabon ungültig, wenn darin keine gelbe Straßenbahn vorkommt. Na dann: Mission accomplished. Zum Glück fahren die Retro-Bims schon in der Früh. Da hätte man sogar in der Linie 28 Platz - und nicht permanent eine Kamera vorm Gesicht.

Oder im Bild: Touristen sind schließlich immer nur die Anderen. Der Fairness halber: Bim-Fahren in Lissabon ist echt lustig. Ruckelig und eng und hochschaubahnig - aber vor allem tatsächlich so knapp an Mauerecken und anderen Straßenbahnen vorbei, dass jedem Sicherheitsbeauftragten der Wiener Linien schlecht würde.

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Die Baixa-Boulevards in Richtung Wasser sind und waren immer als Geschäftsstraßen ausgelegt. Früher wurden hier - aber vor allem auf der Praca de Comércio, direkt am Meer (das hier natürlich noch der Fluss ist) - die Waren der Handelsschiffe verkauft.

Die Quelle von Portugals einstigem Ruhm & Reichtum. Von Gewürzen spricht man gerne. Der Sklavenhandel wird mitunter "vergessen". Aber: Wessen nationales Gedächtnis keine weißen Flecken hat, der werfe in Österreich - diesem "ersten Opfer deutscher Aggression" - bitte den ersten Stein.

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Der große Handelsplatz, die Praca de Comércio. Hier mit dem Schiff vorzufahren (wir taten es tags zuvor mit einem kleinen Rundfahrt-Speedboot)ist auch heute noch eindrucksvoll. Hier zu laufen auch: In der Früh fehlen nicht nur die Besuchermassen, sondern auch die Dealer.

So oft wie hier wurden mir weder vor dem Flex noch in Amsterdam oder Marrakesh Dope, Heroin und was weiß ich denn noch angeboten. Freilich: Die auf Touristen spezialisierten "Dealer" hier Hops zu nehmen, bringt wenig, erzählte mir eine Lissabonerin. Man könne die bösen Buben höchstens wegen versuchten Betruges anzeigen: "Die haben selten was Anderes als Seife, Fensterkitt oder Backpulver im Sortiment."

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Ab jetzt geht es am Wasser entlang. Genau genommen ist das hier ja noch der Tejo - aber der Fluss mischt sich hier schon so sehr mit dem Atlantik, dass nicht nur Binnenlandbewohner sich von Tidenhub und Salzgeruch gerne täuschen lassen.

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Wenn man in Lissabon läuft, läuft man meist die Wasserlinie entlang. Klar: In den Parks in der Stadt trifft man auch Läuferinnen und Läufer - aber die Hauptroute führt immer den Tejo entlang.

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Auch der - angeblich sehr schön zu laufende - Marathon und Halbmarathon der Stadt sind "Strandpromenaden"-Läufe. Gestartet wird da auf der Vasco-Da-Gama-Brücke. Die liegt ein ordentliches Stück den Tejo aufwärts - und ist satte 17 Kilometer lang. Die Brücke im Bildhintergrund, auf die man den Tejo abwärts ständig zuläuft, ist allerdings die "Ponte 25 de Abril".

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Das Lissaboner Golden-Gate-Zitat ist aber ein fieses Teil. Mit ihr geht es einem rasch so, wie Paris-Neulingen mit dem Eiffelturm: Der ist ja auch fast immer in Sichtweite - und mancher Newbie denkt sich da "na das machen wir doch rasch zu Fuß." Blöderweise täuscht das Trum - Eiffelturm wie Brücke - aber gewaltig: Beide sind größer, als sie scheinen - also viel weiter weg. Und das merkt man erst unterwegs. Wenn man nicht und nicht hin kommt.

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Normalerweise wäre das ja egal. Dann rennt man halt ein bissi länger. Und sieht mehr. In der Regenerationsphase nach einem Marathon sollte man aber netter zu seinem Körper sein, als der es aktiv einfordert. Und ich war ohnehin schon zu lange und zu "hart" unterwegs (daheim, wieder in Wien, bekam ich prompt einen Rüffel von der Trainerin).

Aber: Den Fluss entlang reiht sich hier Club an Club - und den Schichtwechsel von übriggebliebenen Clubgehern an morgenaktive Wasauchimmertypen zu beobachten, finde ich immer wieder faszinierend. Abgesehen davon: Wer die Meta-Ebene mancher Dialoge aus "How I met your mother" kennt, versteht auch die tiefere Bedeutung der Einladung in diesem Bild. (Ich lehnte selbstverständlich dankend ab.)

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Zeit, umzukehren: Zur Brücke des 25. April fehlten noch ein paar Kilometer. Nach Belem - wo die Seefahrer der Neuzeit am "Torre de Belem" ihren Hafeneinfahrtszoll entrichten mussten und wo Portugals früherer Diktator Salazar 1960 den großen Seefahrern Portugals ein pompöses Denkmal errichten ließ - würde ich (diesmal) laufend nicht kommen. (Dort fährt die Bim hin - zum Glück auch die Moderne.)

Foto: Thomas Rottenberg

Meine Enttäuschung hielt sich in Grenzen: Der Morgen war zwar dunstig und diesig - aber die Sonne kam trotzdem durch. Und das für mich so unpackbar Schöne an Morgenläufen ist immer das Ins-Gegenlicht-Eintauchen.

Ganz abgesehen davon: Dass der Wind mir die ganze Zeit recht anständig entgegen geblasen hatte, hatte ich beim Flussabwärtslaufen vor lauter Schauen gar nicht mitbekommen. Den Unterschied spürte ich jetzt aber: Eine echte Belohnung.

Foto: Thomas Rottenberg

Es war der 25. April. In Portugal ein Feiertag - man erinnert sich an diesem Tag an die (fast zur Gänze) unblutige Nelkenrevolution. Es war nicht einmal 8 Uhr früh.

Die Stadt schlief noch - und auch die Anlegepfosten der "Cais das Colunas" schienen von jenen Tagen zu träumen, an denen die großen Handels- und Entdeckerschiffe hier, an der Praca de Comércio, angelegt hatten.

Foto: Thomas Rottenberg

Kitschig? Na und? Der kurze Lauf war auch ein Abschied. In drei Stunden würde ich im Flieger zurück nach Wien sitzen: Den Blick aufs "Meer", den Geruch von (beinahe) Salzwasser, den Wind und die Stille wollte ich noch einmal mitnehmen. Stadtläufe kann man als Wettkämpfe anlegen - um sich selbst und eine Strecke zu besiegen.

Oder aber genussvoll und kontemplativ - mit dem Risiko, sich in die Stadt zu verlieben. Und das ist gut so.

Foto: Thomas Rottenberg

Eine kleine Compliance-Anmerkung: Reise und Aufenthalt waren ein privater Trip und wurden zur Gänze selbst bezahlt. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 30.4.2015)

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