Seit im Mittelmeer vermutlich fast tausend Menschen auf dem Weg von Libyen nach Italien auf einen Schlag ertrunken sind, ist die Wirtschaftskrise als tragendes Thema in den Hintergrund getreten. Plötzlich drehen sich in Europa die Debatten nur noch um Sicherheit. Millionen von Bürgern sind entsetzt, dass dem Leben und der Sicherheit von Flüchtlingen von der Union so wenig Augenmerk geschenkt wird. Andere machen politische Geschäfte mit den humanitären Dramen, die von Syrien, dem Irak, Nord- und Zentralafrika ihren Ausgang nehmen. Sie rücken kriminelle Machenschaften im Schatten der Flüchtlingswellen in den Vordergrund: Menschen- und Drogenhandel oder die neuen Bedrohungen durch islamistische IS-Kämpfer, die zwischen Europa und Nahost pendeln.

Vieles wird dabei in einen Topf geworfen; es entsteht bei einem wachsenden Teil der Bevölkerung das Gefühl, "irgendwie" bedroht zu sein. Radikale Parteien quer durch Europa sind bei Wahlen die Gewinner dieser Unsicherheitskonjunktur, zuletzt die Rechten in Finnland.

Die Folge: Europa krampft sich ein, nicht nur bei der Hilfe für Flüchtlinge, sondern auch bei der gemeinsamen Sicherheitspolitik zur Bekämpfung von international organisierter Kriminalität und Terror. Sie bleibt national dominiert. Die Vorschläge der EU-Kommission sprechen Bände. Außer schwachen Appellen an die Regierungen gibt es nicht viel an Bemühen um stärkere Gemeinsamkeit und Sicherheit. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 29.4.2015)