Bremen - Der Jazz, so wird oft gesagt, ist mehr als Musik. Und man meint damit Ideen der Unangepasstheit, der Widerständigkeit, von individualistischen und spontaneistischen Lebensmodellen, die in jene Musik insbesondere seit Aufkommen des Bebop in den 1940er-Jahren projiziert werden. Der Jazz, der im Swing-Zeitalter der 1930er zumindest in den USA als Popmusik galt, ist zugleich immer auch Ware geblieben.

Wer heute am Produktcharakter jener Musik zweifelt, dem sei der Besuch der Jazzahead in Bremen empfohlen: Denn hier werden seit 2006 in zunehmender Intensität improvisierte Klänge vermarktet, beworben, verkauft, alle Teile der kulturindustriellen Verwertungskette sichtbar gemacht. Die Bremer Messe ist seit ihrer Gründung über Europa hinaus zum wichtigsten Branchentreffen und Marktplatz in Sachen Jazz avanciert, die Anzahl der Aussteller, Konzerte, Fachbesucher steigt.

Österreichischer Kaffee und armes Jazz-Mutterland

Anlässlich der zehnten Auflage 2015 hatte man Frankreich als Gastland geladen, mit Akkordeonist Richard Galliano, Bassistenlegende Henri Texier und dem Orchestre National de Jazz als Speerspitzen der Szene. Auf den Podien wurde über die im Zuge des Freihandelsabkommens TTIP neu aufgeflammte Diskussion rund um die französische Filmförderung (" Exception Culturelle") und ihre erwünschte Erweiterung auf den Jazz debattiert, das European Jazz Network stellte das Projekt einer ersten europäischen Jazzgeschichte in Buchform vor.

Nicht zu unterschätzen waren für manchen Besucher kulinarische Leitlinien im persönlichen Parcours durch das dichte Gewühl an Menschen, Ständen und Informationen. Der zentral platzierte Österreichstand punktete wie in den Jahren zuvor durch seine vielgerühmte Kaffeemaschine, die Schotten luden zum Whiskey-Empfang, die Belgier zu Bier, die Koreaner zu Toju-Schnaps.

"Amerika ist das ärmste Land. Es gibt keinerlei Subventionen für uns", so begründet Robert Friedman den eher unscheinbaren Messestand des Jazzmutterlands USA wie auch den Umstand, dass hier zu keinerlei Umtrunk geladen wird. Der in San Francisco ansässige Musikagent vertritt u. a. die brasilianische Sänger-Pianistin Clarice Assad. Und schwärmt nebenbei über den Wiener Musikverein und über Österreich als "Land, das mehr für Kultur als für die Armee ausgibt".

Branchenkontakte bei Wein und Käse

Bei den Matchmaking Sessions (Branchenkontakten) ist die Palette der Interessenten bunter denn je. Da sitzt man im 20-Minuten-Takt etwa dem Jazzpianisten aus Kopenhagen, der Sängerin aus São Paulo oder dem Leiter eines Labels aus Kansas City gegenüber, das den von Franz Kafka inspirierten Namen Odradek Records trägt und als erste Jazzveröffentlichung die CD eines selbst in Europa kaum bekannten luxemburgischen Schlagzeugers (!) vorlegt.

Im gutbesuchten Club Moments im südlich des Messezentrums gelegenen, multikulturellen Bremer Stadtviertel Steintor wurden am Samstagabend steirische Weine und Käse in Kürbisform gereicht. Im Rahmen der Jazzahead-Clubnight hatte man zur Styrian-Soundz-Präsentation geladen. Heinrich von Kalnein und Horst-Michael Schaffer, das Leitungsduo der Jazz Big Band Graz, hatte die Aktion initiiert, um die Marke der Jazzstadt Graz zu stärken und um fünf junge Bands mit steirischen Wurzeln den zahlreich erschienenen "Multiplikatoren" - Medienmenschen und Veranstaltern - vorzustellen.

Junge steirische Szene

Das Land Steiermark hatte dafür bemerkenswerte 25.000 Euro bereitgestellt, Kulturlandesrat Christian Buchmann reiste selbst nach Bremen. Das Violin-Cello-Duo Klemens Bittmann / Matthias Bartolomey gefiel durch geschmeidige Virtuosität, das Quartett Tribal Dialects um Saxofonist Patrick Dunst durch lyrischen, orientalisch gefärbten Kammerjazz. Während das exzellente Trio Edi Nulz in seiner rhythmisch hochpräzisen, punkigen Gewitzheit auf großes Echo stieß. Die Stimme der jungen steirischen Szene klang im vielstimmigen Chor der Jazzahead kräftig und selbstbewusst. (Andreas Felber aus Bremen, DER STANDARD, 29.4.2015)