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Die Eismumie Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen, seiner letzten Ruhestätte. Zeitlebens hat er seine Heimat auf dem Gebiet des heutigen Italien nicht verlassen, wie mit Analysen von Strontium-Isotopen an Zahn- und Keratinproben nachgewiesen werden konnte.

Foto: Apa/dpa/Ravanelli

Der Isotopengeochemiker Wolfgang Müller forscht an der Royal Holloway University of London.

Foto: Müller/RHUL

Wien – Die Faszination, die von ihm ausgeht, ist auch bald 25 Jahre nach seiner Entdeckung ungebrochen: Als im Spätsommer des Jahres 1991 in den Ötztaler Alpen die mumifizierte Leiche eines Mannes aus der Jungsteinzeit gefunden wurde, dauerte es nur wenige Tage, bis dieser unter dem Namen "Ötzi" zu einer Ikone von popkultureller Dimension aufstieg.

In den folgenden Monaten und Jahren entwickelte sich ein Wildwuchs an Spekulationen um den Eismann vom Similaun. Zahllose Thesen wurden um die Hintergründe seines Aufenthalts auf dem hochalpinen Gletscher in 3.200 Meter Höhe, die Todesursache und um seine Herkunft – aufgrund seines Fundortes wenige Meter von der italienisch-österreichischen Staatsgrenze eine delikate Frage – entwickelt. Einige dieser Thesen orientierten sich an Fakten, die meisten jedoch sind im Bereich Sagen und Märchen anzusiedeln. Derartige Spekulationen wurden von den Medien stets dankbar aufgenommen und zusätzlich befeuert.

Hinweise auf Gewaltverbrechen

Erst 2001 wurde in der Schulter des Mannes eine zuvor in Röntgenaufnahmen übersehene steinerne Pfeilspitze entdeckt, damit wurde der Nachweis erbracht, dass Ötzi ein gewaltsames Ende fand: Entweder führte der Blutverlust innerhalb kürzester Zeit zum Tod, oder aber er erlag den Folgen einer Schädelfraktur, die vom Sturz nach dem Pfeilschuss oder einem Schlag herrühren kann. Jedenfalls aber wurde der Schaft des Pfeiles noch aus der Wunde gezogen, bevor Ötzi starb. Diese Hinweise auf ein Gewaltverbrechen sorgten für zusätzliche Mythen um die Tiefkühlcelebrity. Auch der 1992 entdeckte Statuenmenhir von Latsch im Südtiroler Vinschgau, nahe der Fundstelle am Similaun, unterstützt mit einer erstaunlichen Koinzidenz die Legendenbildung: Auf dem Stein, der vermutlich nur wenig jünger ist als Ötzi, ist in einer Szene dargestellt, wie ein Mensch von hinten mit Pfeil und Bogen erschossen wird.

So spannend derartige mögliche Verbindungen auch sein mögen, die Wissenschaft schreibt trotzdem die faszinierenderen Geschichten. Ötzi erzählt uns unglaublich viele Fakten aus seinem Leben – allerdings muss man wissen, wie man ihm zuhören kann. Einer, der dazu in der Lage ist, ist der Isotopengeochemiker Wolfgang Müller. Vergangenen Mittwoch präsentierte er im Rahmen der Eduard-Suess-Lectures seine Arbeiten bei einem Vortrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Nachweis der Herkunft Ötzis

Der Kärntner Müller verließ nach seinem Geologiestudium in Wien 1994 das Land, um an internationalen Top-Einrichtungen zu forschen. Nach Jahren an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der Australian National University von Canberra landete er schließlich 2004 in England. Dort arbeitet er an der Royal Holloway University of London (RHUL) als Reader für Isotopengeochemie.

Die pittoresken Türmchen der RHUL, einer ursprünglich für Frauen geschaffenen Universität, könnten für Harry Potters Hogwarts Modell gestanden haben, und ein bisschen erinnern auch die in Müllers Forschungsarbeit eingesetzten Methoden an Magie. Im Jahr 2003 gelang ihm der Nachweis der Herkunft Ötzis. Die bahnbrechende Studie in "Science" vereint verschiedene wissenschaftliche Ansätze zu dem klaren Resultat, dass Ötzi südlich der Fundstelle gelebt haben muss und sich zeitlebens nur in einem Radius von wenigen dutzend Kilometern bewegt haben kann.

Für Müllers Forschungsansätze wurde Ötzi an einem idealen Ort gefunden: Der Alpenhauptkamm bildet als Wasserscheide eine klare Trennlinie zwischen Nord und Süd. Die Verhältnisse der Zusammensetzung der verschiedenen Sauerstoffisotope im Wasser variieren aufgrund ihres unterschiedlichen Gewichts nach Region und Seehöhe. Dies macht sich Müller zunutze: Der Zahnschmelz verändert sich nach seiner Bildung nicht mehr, er spiegelt die Sauerstoffisotopen-Signatur des Wassers wider, das während der Zahnbildung getrunken wurde. Da sich Nord- und Südtiroler Wasser ganz klar voneinander unterscheiden lassen, kann ausgeschlossen werden, dass Ötzi aus dem Norden stammte.

Du bist, was du isst

Doch Müller konnte Ötzis Herkunft noch weiter eingrenzen: Radiogene Strontium-Isotope kommen in den Böden in unterschiedlichen Mengenverhältnissen vor, je nach natürlicher Radioaktivität in den jeweils vorherrschenden Gesteinsarten. Mit der Nahrung werden diese Isotope aufgenommen und in den Knochen eingelagert. Für Ötzi konnte so ausgeschlossen werden, dass er aus dem Gebiet der Dolomiten stammt, wo in den karbonathaltigen Böden geringere Mengen des Isotops Sr87 vorkommen. Müller vermutet Ötzis Kindheit im Eisacktal, wo sich die lokalen Werte mit jenen der Mumie decken.

Anhand der Datierung von winzigen Glimmerplättchen, die Ötzi vermutlich bei seiner letzten Mahlzeit mit Getreide aufgenommen hat, lässt sich nachweisen, dass er sich vor seinem Tod im Etschtal aufgehalten haben muss, wo Gesteine desselben geologischen Alters vorkommen – ganz in der Nähe des Fundortes des Menhirs von Latsch.

Eine der verwendeten Analysemethoden ist das Verdampfen der Oberflächen mit gepulsten Laserstrahlen, die Laserablation. Bei einer anderen Technik, der Sekundärionen-Massenspektrometrie, wird die Probe mit Ionen beschossen. So lässt sich zum Beispiel auch eine Vermutung ausschließen, was Ötzi ins Hochgebirge getrieben haben könnte: Er war wohl nicht im Bergbau tätig, denn in seinem Fingernagel ließen sich keinerlei erhöhte Werte von Kupfer, Blei, Zinn oder Cadmium feststellen, was bei einer metallurgischen Tätigkeit erwartbar wäre. Lediglich Arsen weist hier einen höheren Wert auf, was aber auf regionale Einflüsse zurückgeführt werden kann. (Michael Vosatka, DER STANDARD, 29.4.2015)