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Zu Beginn dieses Schuljahres wurden 12.100 Kinder in Wiens Pflichtschulen als "außerordentliche Schüler" geführt. Das heißt, sie konnten der Unterrichtssprache Deutsch nicht folgen.

Foto: APA / Harald Schneider

Wien - Es ist eine besondere Herausforderung, der sich die wachsende Stadt Wien im Pflichtschulsektor zu stellen hat: Die Zahl von Schülern mit Migrationshintergrund wird immer größer. Besuchten im Schuljahr 2000/01 rund 38.500 Schüler mit einer anderen Erstsprache als Deutsch die Wiener Pflichtschulen, sind es aktuell bereits mehr als 60.000. Insgesamt gibt es derzeit etwa 100.000 Pflichtschüler in Wien.

Darunter sind auch Schüler, die der Unterrichtssprache Deutsch noch nicht folgen können. Trotz der mangelhaften Deutschkenntnisse können Direktoren jene Kinder, die die Schulreife erreicht haben, als "außerordentlich" einstufen lassen. Der Vorteil: Kinder werden durch spezielle Sprachförderkurse gefördert, nehmen am Schulleben teil, werden aber nicht benotet. Diese Maßnahme ist bis zu zwei Jahre möglich. Spätestens dann muss der Spracherwerb so gegeben sein, dass die Kinder zu "ordentlichen Schülern" umgestuft werden können.

Jeder fünfte Schüler mit Migrationshintergrund

Die jüngste Entwicklung ist allerdings alarmierend: Die Zahl der "außerordentlichen Schüler" ist in den vergangenen vier Jahren um mehr als die Hälfte angestiegen. Gab es in Wien 2010/11 rund 7900 außerordentliche Schüler in den Pflichtschulen, waren es mit Beginn des aktuellen Schuljahres 2014/2015 rund 12.100. Das geht aus einer aktuellen Anfragebeantwortung von Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) hervor. Jeder fünfte Schüler mit Migrationshintergrund wird also als "außerordentlicher Schüler" geführt.

Eigene Klassen für zugezogene Kinder

ÖVP-Gemeinderätin Isabella Leeb kritisiert "das mangelnde Engagement der rot-grünen Stadtregierung, diese Zahl zu senken. Wir brauchen eine Qualitätsoffensive sowohl in Kindergärten als auch in Schulen", sagt Leeb. Die Fördermaßnahmen der Stadt Wien müssten evaluiert und verbessert werden. Für zugezogene, bereits schulpflichtige Kinder fordert Leeb eigene Vorbereitungsklassen.

Gegen "Ausländerklassen"

Die Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (SPÖ) spricht sich hingegen dezidiert gegen "Ausländerklassen" aus. Man müsse Kindern, die die Unterrichtssprache Deutsch noch nicht beherrschen, Zeit geben, sich in der Schule zurechtzufinden, heißt es aus dem Büro Brandsteidls.

Der starke Anstieg der Anzahl von Schülern mit großen Deutsch-Defiziten in den vergangenen Jahren sei einerseits sicher auf größere Flüchtlingswellen zurückzuführen. So habe es 2003 fast 14.000 außerordentliche Schüler in Wien gegeben.

Problematische Bundesgesetzgebung

Andererseits sei dieser auch der problematischen Bundesgesetzgebung geschuldet: So können außerordentliche Schüler nach dem notwendigen Spracherwerb auch nach einigen Wochen oder Monaten zu ordentlichen Schülern umgestuft werden. Umgekehrt sei das nicht möglich. "Es gibt die Tendenz, dass Schulleiter Kinder mit großen Sprachdefiziten zunächst eher als außerordentlich klassifizieren."

Bildungsexperten kritisieren einen weiteren Grund für den Anstieg: So seien die Bundesgelder für spezielle Sprachförderkurse in Pflichtschulen an den Status der Schüler gekoppelt. Das bedeutet: Nur wenn der Status auf "außerordentlich" lautet, gibt es spezielle Deutsch-Sprachförderkurse.

Schnittstelle verbessern

Laut Leeb müsste in Wien gerade die Schnittstelle zwischen Kindergarten und Volksschule für den Spracherwerb von Schülern verbessert werden. Die Stadt verweist auf das beitragsfreie Kindergartenjahr und auf den Ausbau der Bildungscampus. Allein für die Kindergärten gebe die Stadt im Jahr 2015 mehr als 700 Millionen Euro aus. Die Sprachenvielfalt sei auch als Potenzial zu begreifen: So werden in Wiens Schulen an die 80 Sprachen gesprochen. (David Krutzler, DER STANDARD, 28.4.2015)