Wie viel Zentralismus soll, wie viel Dezentralismus darf ein Riesenkonzern wie Volkswagen sich leisten, um sich zukunftssicher aufzustellen? Das dürfte eine der entscheidenden Fragen sein, vor deren Hintergrund sich der Machtkampf Piëch – Winterkorn abgespielt hat. Sollen die zwölf Konzernmarken hinfort ganz massiv aus Wolfsburg dirigiert werden oder nur behutsam gesteuert. Eine Frage der Lenkbarkeit (damit nicht etwa der Konzern nach der Ära Piëch zerbricht in Diadochenreiche wie das Imperium Alexanders des Großen) und eine der Kosten.

Daraus eine Konzernkrise abzuleiten beschreibt die Verfasstheit des Konzerns ungenügend. Zum einen steht der deutsche Autogigant im internationalen Vergleich blendend da, auch technologisch; besser aufgestellt ist wohl nur noch Toyota aus Japan, durch die überragend starke Position auf dem US-Markt. Zum anderen sind die Kostenvorteile, die sich aus dem Prinzip des 2012 eingeführten Modularen Querbaukastens (MQB) ergeben – das geht bis hin in eine dramatische Abschlankung der Produktionsprozesse in den Fabriken – noch gar nicht lukriert. Gehen die erst einmal ins Ertragsvolumen, können sich alle anderen, inklusive Toyota, warm anziehen.

Bis dahin hat man sich ein milliardenschweres Spar-, ein Effizienzprogramm verordnet, um speziell die ausufernden Forschungs- und Entwicklungskosten zu bändigen; die Ertragsschwäche der Kernmarke resultiert übrigens auch daraus, dass sämtliche Entwicklungskosten im Konzern, also auch jene der ertragstarken Marken Porsche und Audi, der Marke VW zugerechnet werden.

Mitten in die Euphorie, beim Absatz erstmals die Zehn-Millionen-Marke übertroffen, zugleich den bisher höchsten Konzerngewinn eingefahren zu haben und das Ziel in greifbarer Reichweite, zum größten Autohersteller der Welt aufzusteigen, stieß der 78-jährige Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch mit seiner Führungsdebatte.

Der Grund: In den USA kommt VW trotz des 2011 eröffneten Werks Chattanooga nicht voran. Der dort gebaute US-Passat kommt schlechter an als erhofft, die Bänder sind nicht ausgelastet. Erst Ende 2016 soll ein speziell auf US-Geschmack getrimmter SUV die Lage verbessern. Auch beim Billigauto, das den Konzern nach dem Beispiel Dacia (Renault) in Indien und Dritte-Welt-Ländern voranbringen soll, geht nichts weiter. Und schließlich kommt der Großteil des Wachstums seit Jahren aus China – riskant, sich von einem Markt zu abhängig zu machen. Zumal dort die Rendite sinkt und der Absatz spürbar an Dynamik verliert.

Dass der Machtkampf nun zugunsten von Konzernchef Martin Winterkorn (68) ausging, liegt womöglich daran, dass die Familien Porsche/Piëch ihren Zwist nicht intern gelöst, sondern nach außen getragen haben. Das dürfte den Patriarchen zum Rücktritt bewogen haben. Ob das gut für den Konzern ist, ist eine andere Frage – zu Recht gilt Piëch als der Visionär, Winterkorn als (allerdings perfekter) Umsetzer.

Die Nachfolgefrage bleibt jedenfalls evident. Gibt es einen Generationenwechsel, oder wird Porsche-Chef Matthias Müller (62) Winterkorn nach dessen Vertragsende 2016 beerben? Der hat jedenfalls konkrete Vorstellungen – etwa den Zusammenschluss in die Markengruppen VW-Skoda-Seat, Audi-Bentley-Bugatti und Porsche-Lamborghini – und gilt sowohl als Mann Piëchs als auch Winterkorns. Wie auch immer: Diese Frage und die der Neuorganisation gehören geklärt. Bald. (Andreas Stockinger, DER STANDARD, 27.4.2015)