Wien - Michael Schottenberg inszeniert zum Ausklang seiner Direktion den Sommernachtstraum im Wiener Volkstheater. Vielleicht verspürt er Erleichterung. Vielleicht ergeht es ihm aber auch wie Theseus (Günter Franzmeier), regierender Fürst von Athen. Dieser kultivierte Wilde mit imposant verzopftem Haupthaar betritt energischen Schrittes durch den Mittelgang die Bühne.
Der Hofstaat hinter ihm ist allerliebst staffiert. Man erkennt venezianische Granden, die ihre prägenden Jahre offenbar in Japans Kirschgärten verlebt haben. Überall glänzen goldene Borten. Schirme aus Seide sind gespannt, die Schminke leuchtet weiß in erwartungsfrohen Gesichtern.
Das Volkstheater selbst hat seine Vorfreude überhaupt nicht bezähmen können. Es hat sich nach innen zu sogar ausgebreitet. Ausstatter Hans Kudlich hat einfach einen zweiten Guckkasten in den ersten gehievt. Neue Rang- und Seitenlogen sperren die roten Plüschmäuler auf. Hereinspaziert, die scheidende Direktion bittet zum frivolen Abschiedsfest. Die ganze Welt soll noch einmal verkitschtes Theater sein. Darf sie getrost. Nur sollte man darüber nicht auf den Athener Wald vergessen.
In diesem steht dank Shakespeare das Glück der Geschlechter auf dem Spiel. Ein Flirren und Weben erfüllt die nächtliche Luft. Oberon (Patrick O. Beck), hier offenbar dankbarer Kunde eines Tätowierers aus der Vorstadt, stößt seine Elfenkönigin Titania (Martina Stilp) in die Arme eines beinahe echten Esels.
Zwei Aristokratenpärchen verlieren in der schwülen Nacht die Reinheit ihrer Herzen - und ein wenig die Übersicht. Dies alles soll Theseus zur Feier der Hochzeit mit der forschen Hippolyta (Claudia Sabitzer) ergötzen. Als Theater auf dem Theater, wohlgemerkt, über dessen Zustandekommen der Waldgeist Puck (Erni Mangold) wacht. Tut er aber nicht.
Desinteresse und Mattigkeit
Sobald nämlich die Befriedigung über den Ausstattungszauber gewichen ist, fasst einen leiser Verdruss an. Da ergeht es einem nicht besser als Puck selbst. Die anbetungswürdige Mangold gibt ihn als sauren Kauz mit bloßen Knien, der bei der kleinsten elfenköniglichen Anweisung ins Räsonieren gerät. Mit der Liebe braucht man einem geknechteten Geist nicht zu kommen. Das ist toll, lässt aber leider erahnen, wie wenig die Beteiligten das Stück in Wahrheit interessiert.
Die attischen Pärchen, voran die Mannsbilder, deklamieren die Schlegel' schen Verse, als hätten sie das Telefonbuch einer deutschen Kleinstadt aufzusagen. Die Damen und Herren schießen aus den Bodenluken empor wie Bovisten. Kunstgewerblich geht es zu in Athens Wäldern. Der Goldstaub aus Pucks Zauberblume verbreitet nichts als Mattigkeit.
Und so hat man dieses Abschiedsfest in Raten insgeheim schon für sich aufgegeben. Hat die Anspielung des Theseus, dass er nicht mehr lange zu herrschen habe, abgenickt. Schottenberg selbst packt gleich ganz zusammen und weicht im Sommer Anna Badora.
Und dann passiert noch etwas. Die Handwerkerszene des sauertöpfischen Peter Squenz (Rainer Frieb) vereinigt in sich die ganze Kläglichkeit des Schaustellergewerbes. Sechs Tölpel mit manuellem Berufshintergrund führen das Dramolett von Pyramus und Thisbe auf. Ein Langer namens Schnauz (Tany Gabriel) spielt sogar ein "Loch". Zettel (Erwin Ebenbauer), der eben noch die Elfenkönigin gefreit hat, deklamiert sich in einen milden Wahnsinn hinein. Silben purzeln durcheinander, Reime wackeln, der Sinn geht flöten. Es ist zum Weinen kläglich und natürlich großartig.
So ist Ebenbauer der wahre König einer Aufführung, die viel zu schön ist, um wahr zu sein. Der Jubel galt wohl den vergangenen zehn Jahren. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 27.4.2015)