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Islamisten protestierten vor dem Gebäude von "Cumhuriyet" in Istanbul.

Foto: APA / EPA / Sedat Suna

Istanbul/Paris (APA) - Sie wussten, dass ihre Anteilnahme Konsequenzen haben würde. Ihre Solidarität mit den Opfern würde auch ihre Leben gefährden. Sie wussten, was sie taten, und wagten dennoch die Provokation.

Nachdem die Brüder Cherif und Said Kouachi am 7. Jänner die Redaktionsräume des Satiremagazins "Charlie Hebdo" in Paris gestürmt und zwölf Menschen erschossen hatten, druckte die türkische Tageszeitung "Cumhuriyet" in einer Sonderbeilage einige der Karikaturen, nicht jedoch die vom Propheten selbst, nach. "Es ging um die Verteidigung der Demokratie. Es ging um Selbstzensur, und es war natürlich auch die letzte Ehre, die wir den Hingerichteten gegenüber erweisen konnten", sagt die "Cumhuriyet"-Journalistin Sükran Soner.

Regierungskritik

Die 69-jährige Journalistin steht in ihrem Büro in der Redaktion im Istanbuler Stadtteil Sisli, einem mit Wolkenkratzern zubetonierten Viertel auf der europäischen Seite. Die linksnationale Tageszeitung ist strenger Verfechter des verfassungsrechtlich verankerten Laizismus. Vor allem aber ist "Cumhuriyet" eines der wenigen Medien in der Türkei, das Regierungskritik wagt. Soner ist landesweit bekannt für ihre bissig-besonnenen Kommentare gegen die Mächtigen, seit 1966 arbeitet sie bei dem Blatt, das eine Auflage von 50.000 Stück hat.

Weil die Regierung im Jänner vor dem Abdruck der Mohammed-Karikaturen gewarnt hatte und Polizisten sich deswegen die geplante Ausgabe vor der Verteilung diesbezüglich anschauten, wandten die Journalisten einen Trick an. Sie spekulierten darauf, dass sie die Kontrolleure irreführen könnten, indem die Autoren Ceyda Karan und Hikmet Cetinkaya zwei kleine Mohammed-Karikaturen in ihren Kolumnen zwischen ganz viel Text versteckten.

Solidaritätsbekenntnis

Auch als die "Cumhuriyet" das Druckzentrum verließ, stoppten Polizisten die Lastwagen, um die Inhalte zu überprüfen. Der Trick der Journalisten aber funktionierte. Die Einheiten der Antiterror-Polizei, welche die Redaktion am Tag vor der Veröffentlichung durchsuchten, konnten die Journalisten nicht von ihrem Solidaritätsbekenntnis hindern. Tatsächlich übersahen die Beamten die zwei Bilder, die in der Kolumne platziert worden waren. Die Ausgabe mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren war am nächsten Tag nach wenigen Stunden ausverkauft. Tausende Drohungen seien eingegangen, und die Straßen rundherum mussten tagelang abgesperrt werden, weil ein wütender Mob in die Redaktion eindringen wollte.

Auch heute noch bewachen schwer bewaffnete Sicherheitsleute das mit einem Zaun gesicherte Gebäude. Nun drohen Karan und Cetinkaya bis zu viereinhalb Jahre Haft. Die Staatsanwalt in Istanbul hat Anklage erhoben, und wirft ihnen vor, den öffentlichen Frieden gestört, und die religiösen Werte der Menschen in der Türkei beleidigt zu haben. "Unsere Leser sind intelligent genug, um zwischen Anstiftung zum Religionshass, Solidarität und Satire unterscheiden zu können", sagt Soner.

Ausländische Geheimdienste am Werk

Doch Umfragen zeigen ein anderes Bild der Gesellschaft. Unter der Fragestellung, wie der Anschlag auf "Charlie Hebdo" zu bewerten sei, interviewte das Meinungsforschungsinstitut "Metropoll" 2.800 Türken. Die regierungskritische Tageszeitung "Today's Zaman" veröffentliche das Ergebnis, demzufolge fast 43 Prozent sagten, das wahre Opfer des Attentats von Paris sei die islamische Welt gewesen. Knapp über 44 Prozent der Befragten waren sich sicher, der Angriff sei das Werk ausländischer Geheimdienste gewesen. Nach dem Terrorattentat titelten fast alle Satireblätter in der Türkei mit "Je suis Charlie" vor einem schwarzen Hintergrund.

Gesperrte Webseiten

Doch weil der Abdruck der Mohammed-Karikaturen in dem überwiegend sunnitisch-muslimischen Land ein zu großer Tabubruch wäre, wagte lediglich "Cumhuriyet" diesen Schritt. Webseiten, auf denen die Bilder gezeigt wurden, wurden gesperrt. Es verletze die "heiligen Werte der Muslime", sagte Vizeregierungschef Yalcin Akdogan. Der oberste islamische Geistliche des Landes, Mehmet Görmez, verurteilte den blutigen Anschlag auf, mahnte aber gleichzeitig davor, islamischen Werte "im Namen der Meinungsfreiheit" nicht zu beleidigen.

Eine Sichtweise, die "Cumhuriyet"-Journalistin Soner nicht ganz teilen mag: "Man sollte, was Menschen heilig ist, nicht unbedingt treten", findet sie. "Aber man muss Satire aushalten können, so etwas nennt sich Demokratie." (APA, 26.4.2015)