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Hilfskräfte suchen nach Überlebenden in Bhaktapur, nahe der Hauptstadt Kathmandu.

Foto: AP Photo/Niranjan Shrestha

Die Erde kommt nicht zur Ruhe. Am Tag nach dem schwersten Erdbeben seit 81 Jahren haben neue Erdstöße Nepal in Panik versetzt. Häuser schwankten, Menschen liefen schreiend ins Freie, auf dem Mount Everest gingen weitere Lawinen ab, sogar im 800 Kilometer entfernten Delhi musste die Metro zeitweise gestoppt werden. Aus Angst, unter ihren Häusern begraben zu werden, hatten zehntausende Menschen bereits die Nacht auf Straßen, Parkplätzen und Märkten verbracht.

Viele sangen oder beteten gegen die Angst an, während immer neue Nachbeben das Land erschütterten und die Erde dunkel grollte. "Ich habe kaum ein Auge zugemacht", erzählt der Überlebende Sundar Sah: "Die ganze Nacht gab es neue Beben. Ich bin froh, dass ich am Leben bin." Die Nachbeben erreichten die Stärke 6,7. Augenzeugen sprachen von einem Bild der Zerstörung, Medien berichteten von einem "Killer-Beben".

Erde bebte kurz vor Mittag

Am Samstag hatte wenige Minuten vor 12 Uhr mittags ein Beben der Stärke 7,8 weite Teile des Kathmandu-Tals verwüstet. Montagvormittag wurde die Zahl der Toten allein in Nepal mit 3.326 angegeben, und es seien mehr als 6.500 Verletzte gezählt worden, erklärte der Leiter der Katastrophenschutzabteilung im nepalesischen Innenministerium, Rameshwor Dangal, am Montag in Kathmandu. Die Erdstöße waren so heftig, dass die Ausläufer bis nach Indien, Bangladesch, Pakistan und Tibet reichten, von dort wurden bisher etwa 90 Todesopfer des Erdbebens gemeldet.

In Panik liefen die Menschen auf die Straße, während Häuser zusammenstürzten und Straßen aufbrachen. "Die Erde wankte, als ob man bei hohem Seegang auf einem Boot ist", sagte der Journalist Kanak Mani Dixit der "New York Times". In Kathmandu irrten am Sonntag verängstigte und traumatisierte Menschen durch ihre zerstörte Stadt. Viele weinten. Die historische Altstadt gleicht einer Trümmerlandschaft.

Nepals Regierung rief den Notstand aus und bat die Welt um Hilfe. Ganze Dörfer sollen ausgelöscht oder unter Felsbrocken und Geröll begraben sein. Viele sind so abgelegen, dass es Tage dauern wird, bis das ganze Ausmaß der Katastrophe absehbar ist. Am Morgen schwärmten 10.000 Soldaten und Polizisten aus, um in den Trümmern nach Überlebenden zu suchen. Auch Bürger und Touristen packten mit an.

Mit Schaufeln oder Händen zu Verschütteten

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Viele der Eingeschlossenen sind schwer verletzt und brauchen dringend Behandlung. Die Retter graben mit Schaufeln oder bloßen Händen, weil ganze Viertel ohne Strom sind und es an Gerät fehlt. Die Wasserversorgung ist zusammengebrochen. Die Nachbeben und schlechtes Wetter erschweren die Rettung. Der Flughafen musste zeitweise geschlossen werden. Auch Hubschrauber, die Verletzte aus entlegenen Gebieten evakuieren, mussten vorübergehend auf dem Boden bleiben.

Die Krankenhäuser in Kathmandu werden des Ansturms an Verletzten nicht mehr Herr, Schwestern und Ärzte sind heillos überlastet. Tausende Verletzte werden unter freiem Himmel versorgt. Vielerorts gehen Medikamente und Verbandszeug zur Neige. Es fehlt an Platz, um die Leichen aufzubahren. In aller Eile wurden Schulen und Behördengebäude in Notunterkünfte umgewandelt.

Experten warnten

Dabei war die Katastrophe absehbar. Schon lange warnen Experten vor einem schweren Beben in dem kleinen Himalaja-Staat. Erst eine Woche vor der Katastrophe hatten sich Bebenspezialisten in Nepal getroffen, um Szenarien zu erörtern. Nepal gilt als Hochrisikogebiet. Die Hauptstadt Kathmandu und Umgebung liegen in einer der seismisch aktivsten Regionen der Welt.

Unterdessen lief internationale Hilfe an. Als erstes Land hatte Indien bereits am Samstag Hilfsflüge gestartet. Auch aus Pakistan, China, den USA und Europa ist Hilfe auf dem Weg. Flugzeuge mit Arzneien, Decken, Wasser sowie Rettungs- und Ärzteteams erreichten Kathmandu. Viele Hilfsorganisationen sind ohnehin vor Ort. Nepal mit seinen 27,8 Millionen Einwohnern zählt zu den ärmsten Ländern der Welt, wirtschaftlich lebt es vor allem vom Tourismus. Laut indischen Medien dürften derzeit 300.000 Touristen in Nepal sein, viele kommen zum Bergsteigen.

20 Österreicher unerreichbar

Beim Außenministerium in Wien haben sich nach der Katastrophe Angehörige von mindestens 80 Österreichern, die sich in Nepal befinden, gemeldet. Zu einem Großteil gab es Kontakt, 20 Personen konnten laut Ministeriumssprecher noch nicht erreicht werden. Das sei aber kein Grund zur Sorge, da die Telefonverbindungen im Moment nur sehr eingeschränkt funktionieren, heißt es im Ministerium. (Christine Möllhoff aus Neu-Delhi, DER STANDARD, 27.4.2015)