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Ein Helfer versucht, eine Frau aus den Trümmern zu befreien.

Foto: REUTERS/Navesh Chitrakar

Sen Oli übt Kritik an den nepalesischen Behörden und fordert ein Umdenken.

Foto: privat

STANDARD: Was hat dieses Erdbeben so tödlich gemacht?

Sen Oli: In den 30 Stunden nach dem ersten Beben der Stärke 7,8 verzeichneten wir mehr als 65 Nachbeben. Das stärkste von diesen hatte noch einmal eine Magnitude von 6,7. Dabei kamen noch einmal Menschen ums Leben, und es kam zu einer öffentlichen Panik. Eines der großen Probleme ist aber sicher, dass die Rettungsmissionen nicht gut genug ausgeführt werden.

STANDARD: Inwiefern?

Sen Oli: Es fehlt an Kapazitäten, um solche Rettungseinsätze durchzuführen. Zwar gibt es ein paar von der Regierung geleitete Teams, die dementsprechend ausgerüstet sind, aber die meisten Rettergruppen bestehen aus lokalen Kräften. Denen fehlt es vor allem an Koordinationsfähigkeit, Ausbildung und technischer Ausrüstung.

STANDARD: Warum kommen in Nepal derart schwere Erdbeben vor?

Sen Oli: Das hat vor allem mit der geografischen Lage des Landes zu tun. Nepal liegt an der Grenze zwischen der Eurasischen und der Indischen Platte. Das mächtige Himalaya-Gebirge hat sich an dieser Bruchlinie aufgefaltet. Die Auswirkungen dieser tektonischen Vorgänge sind aber nicht nur in Nepal zu spüren, sondern genauso weiter östlich in Myanmar oder westlich in Afghanistan. Auch dort kommt es immer wieder zu starken Erdstößen.

STANDARD: Wie erklären Sie die besonders schweren baulichen Zerstörungen durch das jetzige Beben?

Sen Oli: Das liegt unter anderem daran, dass bei Bauvorhaben nur wenig wert auf Erdbebensicherheit gelegt wird. Außerdem gibt es in Bevölkerung kein großes Bewusstsein für das Thema. Das wurde von den Regierungen des Landes verabsäumt. Dinge wie Erdbebenrisikomanagement haben für Nepals Entscheidungsträger keine hohe Priorität.

STANDARD: Vor einer Woche haben sich Erdbebenexperten in Kathmandu getroffen, um zu diskutieren, wie man Nepal besser auf starke Erdbeben vorbereiten kann. Wurde dabei bereits eine Strategie erarbeitet?

Sen Oli: Das Treffen wurde von der Gruppe "Erdbeben ohne Grenzen" organisiert, einem Zusammenschluss von Fachinstituten, die sich mit dem Thema Sicherheit und Prognose beschäftigen. Ein Patentrezept wurde nicht erarbeitet, aber viele Themen diskutiert. Grundtenor war, dass Nepal das Thema ernster nehmen muss.

STANDARD: Glauben Sie, dass das nun der Fall sein wird?

Sen Oli: Ich hoffe, dass diese tragische Katastrophe zu einem Umdenken führt. Wir warnen bereits seit Jahren, dass solch ein starkes Beben jederzeit passieren kann. Nepal war nicht gut genug darauf vorbereitet.

STANDARD: Wird es jetzt noch weitere Nachbeben geben?

Sen Oli: Die tektonische Dynamik wird noch einige Tage andauern, aber wie oft es noch beben wird, kann ich nicht vorhersagen. (Bianca Blei, DER STANDARD, 27.4.2015)