Verharmlosen, Verleugnen, Verdrängen - das war lange Zeit der psychologische Mechanismus, mit dem in Deutschland und Österreich sehr viele Menschen versuchten, das Unerträgliche, die Schuld des Holocaust, von sich fernzuhalten. Auch solche, die nicht unmittelbar darin verwickelt waren, und auch spätere Generationen.

Doch die Wahrheit lässt sich auf Dauer nicht unterdrücken. Die ganz großen Menschheitsverbrechen finden immer ihren Weg ans Licht. Selbst in unfreien Gesellschaften, wie China oder der Sowjetunion bzw. dem heutigen Russland, können die Millionen staatlicher Morde nicht völlig unter der Decke des Schweigens gehalten werden. In demokratischen Gesellschaften hat man erkannt, dass die Wahrheit frei macht. Es gibt noch genug Leugner und Verharmloser - aber die Staatsraison und auch die Mehrheitsmeinung in den westlichen Demokratien sind es, dass diese furchtbaren Verbrechen der bewusste, planmäßige Versuch waren, ganze Völker (Juden und Roma) komplett und andere ("slawische Untermenschen") großteils auszurotten.

Die Türkei will das bezüglich ihres Verhaltens gegenüber den Armeniern vor 100 Jahren nicht anerkennen - das ist wohl auch Mehrheitsmeinung der Bevölkerung. Das wird der Türkei nicht unmittelbar schaden, sie aber in ihrer politischen, geistigen, demokratischen Entwicklung auf subtile Weise behindern und (weiter) unfrei machen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 24.4.2015)