Was das neue Strafrecht nicht ist: ein Paradigmenwechsel oder ein Meilenstein. Was es ist: ein Balanceakt, um die Verhältnismäßigkeit von Vermögensdelikten und Delikten gegen Leib und Leben neu zu ordnen – und auch der Versuch, gesellschaftspolitisch etwas zu bewegen. Das ist nicht nichts. Leider blieb die Reformarbeitsgruppe, die Exjustizministerin Beatrix Karl eingesetzt hat, in einigen Punkten zu zaghaft. Und die Experten des Ministeriums blieben in alten Strukturen verhaftet. Das ist eine verpasste Chance.

Grundsätzlich ist ja zu begrüßen, dass Gewaltdelikte strenger bestraft werden sollen, dafür aber nicht jeder Haschischkonsument wie ein Drogenbaron "behandelt" wird. Es leuchtet auch ein, dass es unsinnig ist (und zu aufwändig), wenn ein gefladertes Handy gleich zu einer Haftstrafe führt.

Der Teufel liegt im Detail. Die Korruptionsstaatsanwälte protestieren zu Recht, dass der Untreue-Paragraf geschickt über die Hintertür aufgeweicht werden soll. Man sollte jenen, die sich seit Jahren bemühen, Österreichs Korruptionssümpfe trockenzulegen, nicht noch zusätzlich Steine in den Weg legen. Die Akzeptanz eines Justizsystems wird nämlich auch daran gemessen, ob die Mehrheit der Menschen glaubt, dass es sich Reiche und Einflussreiche "richten" können. Die exorbitante Anhebung der Wertgrenzen, die Kleinkriminelle ungleich härter straft als jene, die große Dinger drehen, ist ein weiteres Element wider das Gerechtigkeitsempfinden.

Dass die Höchststrafen für schwere Körperverletzung und grob fahrlässige Tötung angehoben werden, spricht für das Bemühen der Justiz, Menschenleben und körperliche Integrität höher zu bewerten als die illegale Aneignung von materiellen Dingen. Materielle Werte kann man theoretisch ersetzen. Verletzungen an Leib und Seele schädigen Menschen dauerhaft.

Dazu passt auch das heiß diskutierte Thema "Pograpschen", um das es in der Reform freilich nur am Rande geht. Viel wichtiger ist, dass künftig strafbar sein soll, wenn Sex erkennbar verweigert wurde, der Täter aber weitermacht. Zumeist wird in diesen Fällen Aussage gegen Aussage stehen, was eine Verurteilung schwierig macht. Aber als Symbol ist diese Präzisierung wichtig: Bedeutet sie doch nichts weniger, als dass der Staat nicht duldet, dass Frauen ihrer sexuellen Selbstbestimmung beraubt werden.

Freilich darf man vor lauter Prinzipientreue nicht das Kind mit dem Bade ausschütten – wie es beim Thema häusliche Gewalt geschah. Dass hier Diversion praktisch verunmöglicht wurde, erhöht die Gefahr, dass Frauen ihre prügelnden (Ehe-)Männer nicht anzeigen – weil sie am Ende doch nicht riskieren wollen, dass diese unverzüglich ins Gefängnis wandern.

Ein weiteres Manko der Reform: Das Problem, dass in Österreich generell zu oft und zu lange eingesperrt wird, wurde wieder nicht konsequent angepackt.

Tatausgleich, vorzeitige bedingte Entlassung, Ausweitung der Fußfesselregelung, Umwandlung von strafrechtlich relevanten Delikten in Verwaltungsvergehen – all das bleibt im Ansatz stecken. Auch wenn der Medienboulevard bei jedem "Verbrecher", der nicht hinter Gittern sitzt, aufschreit: Vernünftig im Sinne der Resozialisierung wäre es allemal. Nicht einsperren heißt nämlich nicht, dass man sich nicht um Opfer kümmert oder Täter zu Besserung anhält.

Genau das wäre die Aufgabe eines modernen, zeitgemäßen Strafrechts, das ein großer Wurf sein will. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 23.4.2015)