Amnesty International legt einen Zahlenbeweis vor: Die Einstellung der Marine-Rettungsaktion Mare Nostrum und ihr Ersatz durch das viel weniger umfangreiche Programm Triton hat die Bootsflüchtlinge übers Mittelmeer nicht abgeschreckt: "Während Mare Nostrum in Betrieb war, überlebte durchschnittlich einer von 50 Menschen die Überfahrt nach Europa nicht. In den ersten drei Monaten 2015 war es bereits einer von 23."

Das stillschweigende Kalkül mancher europäischer Regierungen, die drastische Zurücknahme der Marineoperationen und damit die Möglichkeit, gerettet zu werden, werde die Flüchtlinge abschrecken, hat nicht funktioniert. Wie denn auch: Die aus "failed states" stammenden Bewohner von Somalia, Eritrea oder Mali haben keine Vorstellung von dem, was sie erwartet. Sie müssen auch glauben, was ihnen die Schlepper erzählen (auch über das Paradies, das sie in Europa erwartet).

Nun gut, die EU wird beschließen, die Rettungsoperationen wieder auszuweiten. Die Flüchtlinge kommen so und so, aber vielleicht werden mehr gerettet. Gut so.

An der Grundsituation, dass eine zerfallende Staatenwelt östlich und südlich des Mittelmeers Zehntausende auf eine völlig irrwitzige und hochgefährliche Flucht nach einem Europa treibt, das damit kaum umgehen kann, ändert das wenig bis nichts. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 23.4.2015)