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Pech für den inhaftierten André Rettberg: Nach der geplanten neuen Rechtslage wären seine Handlungen als Libro-Chef wohl rechtskonform gewesen.

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Justitia im Justizpalast in Wien.

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Wien - Die Reform der von Wirtschaftstreibenden zum Gottseibeiuns stilisierten Untreueparagrafen stößt nun auf massive Kritik. Experten kritisieren die von SPÖ und ÖVP erst nach Vorlage der Reformvorschläge von Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) eingebrachten Änderungsanträge. Die Ausschüttung von Dividenden, die im Fall Libro eine letztinstanzliche Verurteilung von André Rettberg brachte, und andere zweifelhafte Zahlungen wären künftig nicht mehr strafbar, wenn eine Gesellschaft nur einen Eigentümer hat.

Die Staatsanwälte finden diesen Aspekt "ziemlich heftig", wie ihr Präsident Gerhard Jarosch erklärt. Er nennt ein Beispiel: Wenn ein Landeshauptmann den Geschäftsführer einer 100-prozentigen Landesgesellschaft anweist, "einem Spezl 100.000 Euro zuzustecken", wäre das künftig keine Untreue mehr. Tatsächlich heißt es in den Erläuterungen zum Initiativantrag der Abgeordneten Jarolim und Steinacker, "dass die Zustimmung des Machtgebers einen Missbrauch aufseiten des Machthabers jedenfalls ausschließt".

Ausschüttung von Dividenden

Die Ausschüttung von Dividenden hat noch einen Spezialeffekt. Derzeit wird in der Causa Meinl im Zusammenhang mit diesem Sachverhalt wegen Untreue ermittelt. Würden derartige Sonderdividenden künftig straffrei gestellt, würden auch Altfälle profitieren. Für sie gilt nämlich das Günstigkeitsgebot: Bei Rechtsänderungen ist das für den Beschuldigten günstigere Gesetz anzuwenden.

Ebenfalls geharnischte Kritik kommt vom Wiener Sachverständigen Matthias Kopetzky: Brandstetter habe die Reform "total geschickt gemacht: Er hält sich raus und kommt trotzdem ans Ziel". In den Augen Kopetzkys ist der Vorstoß der Wirtschaftslobby Indiz dafür, "dass anscheinend noch viele Leute viele Leichen im Keller haben". Manager müssten sich künftig bloß an ihre unternehmensinternen Regeln halten, dann gäbe es schon gemäß geltender Rechtslage keine Untreue. Er stößt sich vor allem am neuen Passus, wonach wirtschaftliche Entscheidungen künftig vertretbar sein müssen, um nicht nach Untreue zu riechen. Für die Bejahung dieser Frage würden sich jederzeit Gutachter und Wirtschaftsprüfer finden, meint Kopetzky. Der Telekom-Gerichtsgutacher sieht auch die Anhebung der Wertgrenzen sehr skeptisch. Für einen wegen Untreue Verurteilten, der einen Schaden unter 500.000 Euro verschuldet und mit einer Diversion davonkäme, würden "die ersten unter 500.000 Euro ein echtes Freispiel, beim zweiten Mal droht ihm ein Jahr bedingt und erst bei 1,5 Millionen muss er ins Gefängnis", spitzt Kopetzky im Gespräch mit dem STANDARD "bewusst zu", wie er sagt.

Auch Jarosch erachtet die Anhebung der schon in Brandstetters Entwurf enthaltenen Wertgrenzen für zu stark. Für die Höchstgrenze von zehn Jahren Haft muss die Untreue einen Schaden von 500.000 Euro verursachen. Derzeit sind es 50.000 Euro.

Unklarheiten

Der von den Justizsprechern der Koalitionsparteien, Michaela Steinacker (ÖVP) und Hannes Jarolim (SPÖ), ausgearbeitete Initiativantrag soll heute, Mittwoch, im Nationalrat eingebracht werden. Seine Kernpunkte: Künftig sollen eben nur noch "unvertretbare" Managerentscheidungen strafbar sein. Und: Ausgeschlossen würde die Strafbarkeit, wenn der Machthaber (also der Eigentümer einer Gesellschaft) der Entscheidung des Managers zugestimmt hat.

In der Begründung zum Antrag heißt es, es hätten sich in der Praxis "vielfach Unklarheiten bei der Anwendung des Untreueparagrafen und dessen Grenzen ... ergeben". (Untreue begeht gemäß §153 Strafgesetzbuch, wer durch wissentlichen Befugnismissbrauch vorsätzlich einen Schaden herbeiführt.) Zudem sollen Entscheidungsträger dann "jedenfalls rechtmäßig handeln", wenn sie ihre unternehmerische Entscheidung "sorgfältig vorbereitet" haben und die Entscheidung auf die Interessen des Unternehmens "ausgerichtet war". Wer gemäß dieser "business judgement rule" agiert, könnte sich also keinesfalls der Untreue schuldig machen.

Geht der Antrag durch, würden die Neuerungen für den Untreuetatbestand viel weiter gehen, als der Reformentwurf von Justizminister Brandstetter. Durchgesetzt hätten sich damit jene vielen Vertreter der Wirtschaft, die vor allem seit den Verurteilungen in der Causa Libro (Sonderdividende) und Styrian Spirit (ein Hypo-Kreditfall, der Wolfgang Kulterer ins Gefängnis gebracht hat) gegen die Untreuebestimmung Sturm gelaufen sind. Man könne keinen Kredit mehr vergeben, ohne nicht mit einem Fuß im Gefängnis zu stehen, so ihr Argument.

Auch sie bekommen Rückenwind: Geht der Initiativantrag durch, so würde nur noch dann gestraft werden können, wenn der Manager den Vorsatz hat, einen "tatsächlichen Verlust von Vermögenssubstanz" herbeizuführen. "Das bloße Handeln im Bewusstsein ... einer (auch sehr beträchtlichen) Vermögensgefährdung" reiche nicht.

Leichtere Kreditvergabe

In der Begründung des Antrags gehen ÖVP und SPÖ auch explizit auf Kreditvergaben à la Styrian Spirit (Landeshauptmann Jörg Haider versprach eine Haftung, die aber nie kam) ein. Der Schädigungsvorsatz fehle beispielsweise dann, wenn "der Machthaber (also der Entscheider; Anm.) darauf vertraut, ... dass sich das Verlustrisiko nicht verwirklicht, sei es infolge Eingreifens eines neuen Investors oder plötzlicher Besserung der wirtschaftlichen Lage".

Auch Brandstetter erwärmt sich für die Entschärfung der Untreueregelung; sie selbst vorzuschlagen, hätte für ihn als Ex-Strafverteidiger etlicher Untreuekandidaten aber keinen schlanken Fuß gemacht, heißt es in Justiz und Politik. Der Chef der Strafsektion im Justizministerium, Christian Pilnacek, sieht die geplanten Änderungen auch entspannt. Es entspreche schon jetzt der gängigen Auslegung, dass nur unvertretbare Entscheidungen geahndet werden, diese Voraussetzung in den Gesetzestext aufzunehmen diene "der Beruhigung der Manager". Der Tatbestand würde nicht stark verändert, "aber der Justiz wird so eine Richtung vorgegeben, ohne sie allzu viel zu kritisieren". (Renate Graber, Andreas Schnauder, DER STANDARD, 22.4.2015)