Der Vienna City Marathon sieht sich selbst mittlerweile in einer Liga mit den großen Marathonveranstaltungen. Allerdings tricksen die großen Veranstalter nicht mit den Teilnehmerzahlen - und wissen, wie man auch Normaloläufer "artgerecht" auf die Strecke lässt

Nach dem Lauf ist vor dem Lauf. Das gilt natürlich auch für den Vienna City Marathon - im Guten wie im Schlechten. Und weil es alle Jahre wieder die gleichen Kritikpunkte am Wiener Stadtmarathon gibt, nutze ich meine Regenerationsphase, um ein bisserl präziser auf ein paar (längst nicht alle!) jener Punkte einzugehen, die mittlerweile traditionell kritisiert werden - und die vom Veranstalter traditionell ignoriert werden.

Foto: Thomas Rottenberg

Aus kaufmännischer Sicht zu recht: Denn - so schrieben die VCM-Macher in ihrem Pressebereich (im Dokument selbst leider undatiert, laut File-Info am 4.11.2014 erstellt): "Achtung: Startplätze sind voraussichtlich drei Monate vor der Veranstaltung ausgebucht!" - Ausverkauft? Also alles bestens.

Interessant ist da ein Detail: Standard-Poster "Para Dox" zitiert nämlich den VCM-Newsletter. In dem wurde, so der Poster, am 12. März 2015 angekündigt, dass am 16. März 2015 die Anmeldung geschlossen werde. Para Dox betonte: "Für beide Bewerbe gleichzeitig". Also für Marathon und Halbmarathon.

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Wieso das wichtig ist? Diese Newsletter-Ansage, argumentieren VCM-Verteidiger, belege, dass beim VCM keineswegs das Verhältnis zwischen Marathon- und Halbmarathonstartplätzen aus niedrigen Motiven gleich gehalten werde und mit der tatsächlichen Nachfrage wenig zu tun habe. Denn der VCM hat eine feine Besonderheit: Es werden stets über 9.000 Marathonstartplätze (2014 insgesamt 9.456) verkauft - aber die Zahl der Marathonfinisher liegt immer um 3.000 Personen tiefer. 2014 liefen 6.348 Personen die volle Distanz. (2015 ist auf der Statistik-HP des VCM-noch nicht abrufbar)

Zum Halbmarathon traten 16.208 Läuferinnen und Läufer an. Beide Events dürften, wie die VCM-Presseaussendung von 2014 für 2015 zumindest als Erfahrungswert suggeriert (de facto wird es jedes Jahr so kommuniziert - ich habe mir nur nicht die Mühe gemacht, die einschlägigen Aussendungen raus zu suchen und kann das also nicht 100%ig belegen), Monate im Voraus ausverkauft gewesen sein.

Foto: Thomas Rottenberg

Wieso das in Zusammenhang mit dem Newsletter-Zitat vom 12. März für den Anmeldeschluss am 16. März relevant ist? Ganz einfach: Mit diesem Zitat werde, so die Kritiker der Kritiker, schließlich belegt, dass die Anmelderei für beide Events zur gleichen Zeit ende. Und so eine Aussendung besage ganz eindeutig, argumentiert etwa Standard-Poster Para Dox, dass es am 12. März noch Startplätze gegeben habe. Und zwar ausdrücklich für beide Events, so Para Dox: "Wenn im Mail steht, dass man sich noch 4 Tage lang für Marathon und HM anmelden kann, dann impliziert das auch die Verfügbarkeit. Den Aufschrei in diversen Foren möchte ich erleben, wenn dem nicht so wäre."

Ich betone: Ich behaupte hier gar nichts. Ich stelle nur Zitate einander gegenüber. Und stelle fest, dass der Veranstalter des Halbmarathons die Option, ein Voll-Marathon-Startticket zu kaufen und sich auf halber Strecke dann zu entscheiden, doch "nur"21 Kilometer zu laufen, jedes Jahr als "Service"für Läuferinnen und Läufer anpreist.

Außerdem stelle ich fest, dass die Zahl derer, die auf halber Strecke abbiegt, über die Jahre konstant bei etwa 3.000 Personen liegt. Und dass der Halbmarathonstart spürbar billiger ist, als das Ticket für den ganzen Lauf: 52 € gegen 67 € lautet die Rechnung zu Anmeldebeginn, 82 € gegen 105 € rund um den Anmeldeschluss. Und Jahr für Jahr zahlen ziemlich genau 3.000 Personen diese - im Mittelwert - Differenz von 19€ "für nix"ein. Und 3.000 mal 19 ist …Oooops!

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Es gibt Untersuchungen, Studien und Artikel , die besagen, dass die Zahl der Österreicher, die pro Jahr einen der über 200 Marathons laufen, eher abnimmt. Halbmarathon aber boomt. Er entwickelt sich zum Jedermann- und Jederfraulauf. Transparent agierende Veranstalter sagen das auch: Halbmarathonstartplätze sind meist Wochen vor denen für die volle Distanz ausverkauft.

Aber Wien ist natürlich anders. Nur, falls es oben übersehen wurde, hier noch einmal das, was Para Dox als zwingendes Argument gegen die vielerorts seit Jahren vorgebrachte VCM-Startgeld-"Körberlgeld"-These vorbringt: "Wenn im Mail steht, dass man sich noch 4 Tage lang für Marathon und HM anmelden kann, dann impliziert das auch die Verfügbarkeit. Den Aufschrei in diversen Foren möchte ich erleben, wenn dem nicht so wäre."

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Ich betone: Ich gebe die "Körberlgeld"-These nur wieder - und unterstelle niemandem Unlauteres. Denn ich habe vollstes Verständnis dafür, dass die Veranstalter des Wiener "Marathons" schon aus Sponsor- und Mediengründen das "Marathon" im Namen dringend brauchen.

Denn: Wenn sich auch bei den staatstragend-großen Medien herumspräche, dass gerade ein Sechstel der Gesamtstarterzahl (2014 waren es 42.058) der größten Laufveranstaltung des Landes tun, was der Name nahe legt, macht das keinen schlanken Fuß. Weder bei Sponsoren, noch bei der Live-TV-Übertragung. Gut, dass die "Großen" Medien als "Partner" eh im Boot sind: Den eigenen Event schießt man sich durch das Erwähnen irrelevanter Details doch nicht ab!

Foto: Thomas Rottenberg

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Viel schöner klingt es, sich die Gesamtstarterzahl auf der Zunge zergehen zu lassen: 42.078 Starterinnen und Starter! (2014). Mit solchen Zahlen, ließen die VCM-Organisatoren schon in den Jahren zuvor mehr als nur durchklingen, sei man am Plafond angekommen.

Und im Olymp: Wien spiele hiermit in der Liga der Großen mit. Wow! Eines bleibt da freilich tunlichst unerwähnt: Bei den "Großen" ist dort, wo "Marathon" drauf steht, halt auch wirklich nur "Marathon" drin. In Wien wird aber alles mitgezählt: Marathon, Halbmarathon und Staffeln (3.407 á vier Personen) - und die rund 2,700 Teilnehmer der beiden Kinderläufe am Vortag des Hauptlaufes.

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"Aber die Bilder", kommt dann mit schöner Regelmäßigkeit. Ach ja, die Bilder! Die knackevolle Reichsbrücke ist ein Hammer-Pic. Keine Frage. Und das jedes Jahr. Aber schauen wir uns den Start in Wien doch einmal genauer an - und vergleichen ihn mit einem "der Großen". New York nämlich.

Dort starteten am 4. November 2014 insgesamt 50.896 Personen. Nebenbei: 50.530 kamen nach - weil "Maratahon" - 42 Kilometern ins Ziel. Wie hoch ist nochmal Quote der "Halbmarathon"-Lastminute-Ent/Ausscheider in Wien?

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Egal. Das Thema ist durch. Es geht um die Bilder. In Wien hätte ich heuer im ersten Block starten dürfen. Startzeit: 9 Uhr. Freunde von mir waren im Block eins - und eine Minute nach den Profis am Weg. Ich lief mit den STANDARD-Staffeln. Wir starteten aus Block vier - und kamen 13 Minuten nach dem Start der Elite über die Startlinie: In Wien geht der Lauf auf der Wagramer Straße auf beiden Richtungsfahrbahnen um neun Uhr los.

Block eins und zwei haben je eine Richtungsfahrbahn für sich. Zehn Minute danach sind Block drei und vier dran. Wieder zehn Minuten später fünf & sechs. In Summe starteten 2014 da 26.070 Personen (9456 angemeldete Marathonis, 16.208 HalbmarathonläuferInnen. Und 3407 Staffeln.)

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Eine VCM-Besonderheit ist, dass kein Mensch kontrolliert, wer tatsächlich in welchem Startblock steht. Und weil sich ehrgeizige Selbstüberschätzer vorne unkontrolliert in Blöcke stellen, in denen sie nix zu suchen haben, kommen nur die allerersten Läufer in Block eins und zwei wirklich gut weg - und haben freie Bahn. Alle anderen werden gebremst, laufen Slalom - und blockieren einander dabei gegenseitig.

Allein das hätte zur Folge, dass schnellere Läufer der hinteren Blöcke die gebremsten der vorderen auf der Reichsbrücke längst eingeholt haben - und man "superdichte" Bilder in die Welt schicken kann. Dass die Läuferinnen und Läufer einander hier ständig auf die Hacken steigen (müssen) sieht man in der Totalen ja nicht: Geile Bilder.

Foto: Thomas Rottenberg

Wie das in New York läuft? Dort starten doppelt so viele Menschen wie in Wien, sie haben dafür fast doppelt so viel Platz und doppelt so viel Zeit: Der Start von Staten Island führt über die Verrazano Narrows Bridge. Die ist in etwa so breit wie die Südosttangente bei der Praterbrücke. Aber die Verrazano ist ein Doppeldecker - wenn auch, zugegeben, unten nur auf einer Richtungsfahrbahn gelaufen wird.

Jede Fahrbahn hat eine Farbe. Und in jeder Farbe wird in mehreren "Wellen" gestartet. So wie in Wien. Allerdings mit 25, nicht bloß mit zehn Minuten Abstand zwischen den Wellen. Wien hat drei, NY vier Wellen. Startbeginn ist um 9:40. Ich war in der blauen Spur. Erste Welle. "Coral D": Vier Minuten nach den Profis kam ich über die Startlinie - und hatte ziemlich freie Bahn.

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"Coral D"? Der Sektor im Startblock. Jede Minute wurde ein "Coral" losgeschickt: Die Coral-Zuteilung in den Blöcke erfolgte nach Tempo und Ergebnissen. Bei der Lauf-Anmeldung musste man Marathon- und oder andere Bestzeiten angeben. Mit dem Hinweis, dass die nicht zu alt sein dürften - und nachgeprüft werden könnten.

Freilich: Man konnte den Startblock trotzdem ändern - indem man sich weiter hinten einreihte. Aber: Weiter vorne platzieren war nicht bloß untersagt - es wäre gar nicht möglich gewesen: Der Zutritt in die "Corals" wurde penibel kontrolliert. Falls man dennoch falsch gestartet wäre, hieß es, würde das über den Chip, der im falschen Zeitfenster aktiv würde, erkannt - und man flöge eventuell aus der Wertung.

Foto: Thomas Rottenberg

Das klingt überzogen und autoritär? Nun: In jedem Fall war es so, dass man in New York ab dem Start frei laufen konnte. Klar waren da überall Menschen. Tausende. Aber es war genug Platz.

Überschlagen Sie selbst: In Wien gingen nach 20 Minuten schon die letzten beiden Blöcke, die "Wave Three", ins Rennen - in New York war da der A-Coral der zweiten Welle noch nicht einmal in der Nähe der Startlinie. Sogar wenn da nicht mehr Platz gewesen wäre, sogar ohne richtige Blockzuteilung - man hätte locker laufen können.

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Noch was? Na klar. In Wien "läuft" man vom Start weg auf zwei mehrspurigen Richtungsfahrbahnen zum Praterstern. Dort kommt dann alles zusammen - auf der Hauptallee. Zwei an sich schon zu dicht geführte Pulks müssen sich jetzt plötzlich auf die halbe Streckenbreite zusammenpressen. Nach drei Kilometern. Da geht dann stellenweise gar nix mehr. Aber: Vom Hubschrauber aus schaut es geil aus.

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Ach ja: Auch in New York kommen die drei Farb-Spuren irgendwann zusammen. Und zwar nach acht Meilen. MEILEN. Acht Meilen sind nicht ganz 13 Kilometer. In Wien sind es drei. Kilometer.

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Man könne, heißt es, New York doch nicht mit Wien vergleichen. Schließlich sei New York deutlich teurer. Stimmt. Bloß: Sobald man läuft, läuft man - und laufen ist immer laufen. Platzbedarf und Erwartungen von Läufern an Organisation und Strecke sind nicht nur vergleichbar - sie sprechen sich auch herum.

Ebenso wie die Hochachtung, mit der ein Veranstalter sein "Fußvolk" behandelt: Die Art und Weise, wie etwa etliche Securities im Zielraum in Wien mit Läuferinnen und Läufern umsprangen, waren symptomatisch: Respekt und Höflichkeit von Handlangern gegenüber der Außenwelt sind immer auch ein Top-to-Bottom-Ding. Und wenn man als Veranstalter bei den "Großen" mitspielen will, muss man sich gerade in den Details dem Vergleich mit den Großen und ihren Standards stellen.

Sogar in Österreich. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 22.4.2015)

Foto: Thomas Rottenberg: Links nach 400 m auf der Verrazano-Bridge, rechts nach 8 Kilometern beim VCM.