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Die Ritterakademie in Lüneburg wird zum Gerichtssaal.

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Der 93-jährige Oskar Gröning ist wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen angeklagt.

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Gröning legte im Gerichtssaal ein umfassendes Geständnis ab.

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"Für mich steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldig gemacht habe." Mit diesem Geständnis hat am Dienstag wohl einer der letzten großen Kriegsverbrecherprozesse begonnen. Vor dem Landgericht Lüneburg in Niedersachsen muss sich der 93-jährige frühere SS-Mann Oskar Gröning verantworten.

Die Anklage lautet auf Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen bei der "Ungarnaktion" zwischen Mai und Juli 1944. "Er unterstützte das Tötungsgeschehen und leistete Beihilfe", heißt es in der Anklageschrift. Gröning wird der "Buchhalter von Auschwitz" genannt. Er kam, nachdem er eine Banklehre absolviert hatte, 1942 in das Lager. Dort war er dafür zuständig, Geld und Wertgegenstände der Häftlinge zu zählen und an die SS in Berlin weiterzuleiten.

"Ich bitte um Vergebung"

Am Dienstag erklärte er im Gericht, schon kurz nach seiner Ankunft in Auschwitz von der Vergasung der Juden erfahren zu haben. Er habe auch die immer leiser werdenden Schreie der Sterbenden gehört und gesehen, wie ein SS-Mann ein Baby erschlagen habe. "Ich bitte um Vergebung. Über die Frage der strafrechtlichen Schuld müssen Sie entscheiden", sagte er im Gerichtssaal.

Gröning hatte sich lange Zeit in Interviews als "Rädchen im Getriebe" bezeichnet. Er kam nach dem Krieg zunächst in britische Gefangenschaft und lebte danach in der Lüneburger Heide. Die Staatsanwaltschaft hatte 1985 schon einmal gegen ihn ermittelt, das Verfahren war aber aus Mangel an Beweisen eingestellt worden. Der Bundesgerichtshof (BGH) verlangte zu dieser Zeit noch den Nachweis einer direkten Beteiligung an den Ermordungen.

Veränderte Rechtssprechung seit 2011

Dass Gröning jetzt doch vor Gericht steht, ist einem wegweisenden Prozess aus dem Jahr 2011 und der veränderten Rechtsprechung zu verdanken. Damals war am Landgericht München der mittlerweile verstorbene SS-Mann John Demjanjuk zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden - wegen Beihilfe zum Mord in 28.000 Fällen im Vernichtungslager Sobibor (im heutigen Polen).

Seither gilt eine andere Rechtsauffassung. Für einen Tatnachweis reicht, dass der Verdächtige zum Zeitpunkt der Gräueltaten im Lager anwesend war und von dem Geschehen wusste.

Der Anklage gegen Gröning haben sich 62 Nebenkläger angeschlossen. Unter ihnen ist auch Eva Pusztai-Fahidi, die in Auschwitz 49 Familienangehörige verloren hat. "Es ist ein sehr wichtiger Moment in meinem Leben, dass ich diesen Prozess erlebe", sagt die Ungarin aus Budapest. "Es geht nicht um Rache", betont sie, "es geht weniger um die Strafe, es geht um das Urteil. Wichtig ist, dass es die Gesellschaft es zur Kenntnis nimmt."

Für den Prozess sind 27 Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil soll Ende Juli fallen. Im Falle einer Verurteilung drohen Gröning mindestens drei Jahre Haft. Sein Anwalt nennt ein Minimalziel: "Vermeiden, dass Herr Gröning tatsächlich eingesperrt wird." (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, 22.4.2015)