In jedem Krieg werden natürliche Ressourcen unwiederbringlich vernichtet. Mehr als 115.000 Samen wurden daher vor den Kämpfen in der syrischen Stadt Aleppo in Sicherheit gebracht. Im ewigen Eis im norwegischen Spitzbergen werden sie nun tief im Berg beschützt. Die Samen stammen von landwirtschaftlichen Nutzpflanzen, die in der Genbank von Syrien nicht mehr sicher waren und womöglich für immer verloren gewesen wären, würde es nicht den weltweiten Saatguttresor in Svalbard geben.

"In Svalbard erhalten wir die Diversität unserer Nutzpflanzen für künftige Generationen", sagt Grethe-Helene Evjen, Projektleiterin im norwegischen Ministerium für Landwirtschaft und Nahrungsmittel. Bereits in den 1980er-Jahren entwickelten Wissenschafter an der "Nordischen Genbank", die für alle skandinavischen Länder zuständig ist, die Idee einer "externen Festplatte" für ihre Lagerbestände. Internationale Gremien favorisierten von Anfang an den Standort Norwegen.

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Von außen ist nur das Eingangsportal in den Samentresor sichtbar, das von der Norwegerin Jenny-Marie Johnson entworfen wurde.
Fotos: Landbruks- og matdepartementet / Matthias Heyde

120 Meter tief im Berg

Das stabile politische System, die Abgeschiedenheit und gleichzeitig gute Erreichbarkeit und der Permafrost waren ausschlaggebend, dass im Februar 2008 schließlich der Saatguttresor in Spitzbergen eröffnet wurde. Die Verantwortung für den täglichen Betrieb teilt sich die norwegische Regierung mit dem Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt (GCDT), einer unabhängigen Organisation mit Sitz in Berlin und Nordgen, der früheren "Nordischen Genbank".

120 Meter tief in den Berg gebohrt, herrscht in den drei Lagerräumen selbst ohne künstliche Kühlung eine durchschnittliche Temperatur von -3,5 Grad Celsius. Damit die Samen allerdings langfristig haltbar bleiben, benötigen sie -18 Grad Celsius. Der Fels wird deshalb zusätzlich gekühlt. Auch gegen Naturkatastrophen und vor allem den Klimawandel sollen die Pflanzensamen im nördlichen Norwegen sicher sein. Berechnungen vor Baubeginn haben ergeben, dass sich der Saatguttresor selbst dann noch über dem Meeresspiegel befindet, wenn die gesamte Eismasse Grönlands schmelzen würde.

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Im Lager gibt es rund 1400 Sammlungen von Feldfruchtsamen.
Fotos: Landbruks- og matdepartementet / Matthias Heyde

Keine Art doppelt eingelagert

Die Tür zu den eisigen Lagerräumen öffnet sich vor allem für die rund 1400 Sammlungen von Feldfruchtsamen. Schickt eine Genbank Kopien ihrer Lagerbestände nach Svalbard, so bleiben die Eigentums- und Nutzungsrechte bei ihr. Die Einrichtung in Norwegen fungiert quasi als Bankschließfach und ist nur für die Lagerung der Bestände zuständig. Entnommen werden dürfen die Samen auch nur von der jeweiligen Genbank. Das ist laut Evjen bis dato noch nicht vorgekommen. Sollte es aber der Fall sein, müssen die Proben reproduziert und neu eingelagert werden.

Welche Samen eingeschickt werden dürfen, ist geregelt. So darf keine Art doppelt eingelagert werden. Bis dato durfte es sich bei den Pflanzensamen auch nur um jene von landwirtschaftlichen Nutzpflanzen handeln. Diese Auflage wurde im März dieses Jahres gelockert, als die ersten Baumsamen nach Svalbard geschickt wurden: die der Norwegischen Fichte und der Waldföhre.

Die Daseinsberechtigung des genetischen Bankschließfachs, erklärte Gründer Cary Fowler vom GCDT, in einem Blogeintrag anlässlich der Eröffnung des Tresors: "Einfach gesagt, ohne die Vielfalt wird die Landwirtschaft versagen." Denn nicht nur der Konsument verlangt nach Variationen, sondern auch die Bauern selbst. Verschiedene Pflanzen stellen sich auf unterschiedliche klimatische und geologische Begebenheiten anders ein. Dadurch, dass die moderne Landwirtschaft bis zu 60 Prozent nur Weizen, Mais und Reis anbaut, geht diese Diversität verloren.

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In drei Lagerräumen im Samentresor von Svalbard herrscht eine konstante Temperatur von 3,5 Grad Celsius.
Fotos: Landbruks- og matdepartementet / Matthias Heyde

6,5 Millionen Proben

Verlorengehen können historische Pflanzensamen auch, wenn wie in Afghanistan oder dem Irak die staatlichen Genbanken während bewaffneter Konflikte zerstört werden. "Das bedeutet den Verlust einer einzigartigen, indigenen Nutzpflanzenvielfalt", sagt Fowler. In Entwicklungs- oder Schwellenländern ist es ebenfalls oft schwierig, die Samen dauerhaft zu lagern. Schlechte elektrische Infrastruktur oder die fehlende finanzielle Unterstützung lassen die Lagerbestände sterben. Dass der Speicher in Svalbard noch lange neue Samen aufnehmen kann, steht fest.

Im Moment sind die Lagerräume für rund 6,5 Millionen Proben ausgelegt - mehr als doppelt so viel, wie es in den Genbanken weltweit gibt. Im Bedarfsfall kann der Saatguttresor weiter ausgebaut werden, damit auch künftige Generationen auf den Schatz im Eis zugreifen können. (Bianca Blei, DER STANDARD, 28.4.2015)