Berlin – Christdemokraten (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) im Deutschen Bundestag wollen die Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren nun doch als "Völkermord" bezeichnen. Die Fraktionsspitzen legen ihren Abgeordneten dazu am Dienstag einen Formulierungsvorschlag vor, wie der Unions-Fraktionsvize Franz Josef Jung am Montag in Berlin mitteilte. Zuerst hatte die "Saarbrücker Zeitung" darüber berichtet.

In dem Text heißt es, 1915 habe das damalige osmanische Regime der Jungtürken mit der planmäßigen Vertreibung und Vernichtung von mehr als einer Million Armenier begonnen. "Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen und der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist."

Zuerst Begriff "Völkermord" vermieden

Zunächst war in dem Text der Begriff Völkermord mit Rücksicht auf die Beziehungen zur Türkei auf Betreiben der Regierung vermieden worden. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin nun, die deutsche Regierung stehe hinter einem Resolutionsentwurf der Koalitionsfraktionen zum Gedenken an den Massenmord an Armeniern Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Dort werde festgehalten, "dass das Schicksal der Armenier im Ersten Weltkrieg beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibung, ja der Völkermorde im 20. Jahrhundert steht", sagte Seibert.

Zuletzt war auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf die Kritiker im Bundestag zugegangen. Man könne das, was damals geschehen sei, "in dem Begriff des Völkermords zusammenfassen wollen", sagte Steinmeier der "Süddeutschen Zeitung" (Montag). Er könne die Gründe dafür und die Gefühle dazu gut verstehen. Damit räume der Minister den Bundestagsabgeordneten mehr Freiheiten ein, die das türkische Vorgehen in einem Entschließungsantrag des Bundestags am Freitag als Völkermord bezeichnen wollen, berichtete die Zeitung. Am Sonntagnachmittag hatte er in der ARD noch angesichts von Warnungen der türkischen Regierung gemeint: "Verantwortung heißt eben, Verantwortlichkeit nicht auf einen einzigen Begriff zu reduzieren." Steinmeier sagte der "Süddeutschen Zeitung" allerdings auch, er sei in Sorge, dass eine immer aufgeladenere politische Debatte den Beginn eines ernsthaften und aufrichtigen Dialogs zwischen Türken und Armeniern "erschweren oder gar unmöglich machen" könnte.

Türkei kritisiert Wertung

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich die Wertung als Völkermord verbeten und in dem Zusammenhang auch Papst Franziskus scharf kritisiert. Dieser hatte des 100. Jahrestages des Massakers an den Armeniern gedacht und vom "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" gesprochen. Die Türkei räumt ein, dass bei Massakern und Deportationen 1915 und 1916 armenische Christen durch osmanische Truppen getötet wurden. Man bestreitet aber, dass es 1,5 Millionen waren und dass es ein Völkermord gewesen sei. Bei vielen Historikern ist das aber unstrittig.

Gemeinsame Erklärung in Österreich geplant

Auch das österreichische Parlament will erstmals klare Worte zum Völkermord finden: SPÖ und ÖVP haben für diese Woche eine gemeinsame Erklärung im Nationalratsplenum angekündigt, in welcher der Genozid verurteilt werden soll. Ein Text dafür war zunächst nicht bekannt.

Österreich-Ungarn und das Deutsche Kaiserreich waren zu Zeiten des Völkermords im Ersten Weltkrieg mit dem Osmanischen Reich verbündet. In Berlin und Wien wusste man über die Massaker und Vertreibungen Bescheid, ohne dagegen einzuschreiten. Die UNO-Menschenrechtskommission und das Europaparlament haben die Gräueltaten als Völkermord eingestuft. Entsprechende Resolutionen verabschiedeten auch mehr als 20 Einzelstaaten, darunter Belgien, Schweden und Frankreich.

Verständigung im Bundestag

Unions-Fraktionsvize Franz Josef Jung (CDU) und SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich erklärten am Montag, es sei zu einer Verständigung gekommen, "die die verschiedenen Standpunkte innerhalb der Fraktionen weitestgehend umfasst". In dem bisherigen Entwurf des Koalitionsantrags für den Deutschen Bundestag war der Begriff Völkermord zunächst nur in der Begründung verwendet worden, nun rückte er in den Haupttext.

Die Opposition aus Linken und Grünen im Bundestag hatte der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vorgeworfen, aus falscher Rücksichtnahme auf die türkische Regierung den Begriff "Völkermord" vermeiden zu wollen. Am 24. April, dem offiziellen Gedenktag, steht anlässlich des 100. Jahrestages des Genozids eine Debatte des Deutschen Bundestags auf der Tagesordnung. Neben dem Antrag von SPD und CDU/CSU wird auch über einen Antrag der Linksfraktion zum "Völkermord an den Armeniern" beraten. Wie die Zeitung "Tagesspiegel" Anfang April berichtete, war ursprünglich auch im Antrag von SPD und Union das Wort "Völkermord" in der Überschrift enthalten, sei aber auf Druck der Fraktionsspitzen und des Auswärtigen Amtes gestrichen worden. (APA, 20.4.2015)