Pipilotti Rist (Bild: "Mercy garden retour skin", 2014) realisierte für "Parasophia", einer Ausstellung mit dem Format einer Biennale, einen atmosphärischen Beitrag im Stadtraum von Kioto.

Foto: Pipilotti Rist, Parasophia

Als bloße Kulisse für einen großangelegten zeitgenössischen Kunstevent ist Kioto viel zu schade: Schließlich befinden sich in der ehemaligen Kaiserresidenz 1600 buddhistische Tempel, 400 Shinto-Schreine, Paläste und Gärten, von denen man die berühmteren – wie den Zen-Garten Ryoan-ji – einfach besucht haben muss.

Den Initiatoren des heuer erstmals stattfindenden Ausstellungsformats "Parasophia"
im Municipal Museum of Art ging es freilich gerade darum, der alles überragenden historischen Bedeutung etwas Zeitgenössisches entgegenzusetzen – oder besser: beizustellen. Schließlich hat der künstlerische Leiter Shinji Kohmoto bereits den Titel sehr bedächtig gewählt. Das Präfix "para" soll auf ein unhierarchisches Nebeneinander verweisen, und "Sophia" bedeutet bekanntlich Weisheit; zudem kommt dem weiblichen Vornamen in der nach wie vor stark patriarchal geprägten Gesellschaft ein subtil-subversiver Touch zu.

Zu Recherchen nach Kioto geladen

Kohmoto, einst Chefkurator am lokalen Museum für zeitgenössische Kunst, ist aber nicht nur dabei sehr umsichtig vorgegangen: Weit davon entfernt, ein gefälliges Spektakel für die privaten Sponsoren zu veranstalten, wurden 40 Kunstschaffende (u. a. Kaliber wie Harun Farocki, William Kentridge, Allan Sekula, Louise Lawler, Rosemarie Trockel) ausgewählt und in zwei Jahren Vorlaufzeit auch zu Recherchen nach Kioto eingeladen. Unter ihnen der Österreicher Florian Pumhösl, der für seinen Beitrag die Sammlungen diverser Museen durchforstet hat: Gegenstand seiner Recherche waren Werke japanischer Avantgardekünstler der 1920er- und 1930er-Jahre. Zwei davon – ein Banner des Tokioter Left-Wing Theater und ein Gemälde von Tomoyoshi Murayama – dienen ihm in der Schau als Anknüpfungspunkte für formale Auseinandersetzungen mit der spezifisch modernistischen Sprache Japans.

Gerade in Bezug auf die spätere Kunstgeschichte des Landes tauchen aber auch kritische Stimmen auf: "Why so nationalistic?", fragt Tatsuo Majima in seinem leider etwas zu didaktischen Beitrag, während Koki Tanaka in der Historie des Kiotoer Museums nach Antworten sucht. In Workshops mit Schülern hat er die Zeit der US-Besatzung des Hauses, die Relevanz des Museums in den 1970ern sowie dessen heutige Rolle, die in Bezug auf Gegenwartskunst vernachlässigbar ist, beleuchtet.

Brisante Themen

Tanaka, der Japan 2013 bei der Venedig Biennale vertreten hat, lässt zudem nicht unerwähnt, dass der aktuelle Premier Shinzo Abe die pazifistische japanische Nachkriegsverfassung vor kurzem geändert hat. Während er den keineswegs unumstrittenen Eingriff in seinem partizipativen Projekt mit Schülern besprach, hat das Duo Hoefner/Sachs den Blick auf ein anderes brisantes Thema gerichtet: Ihr Beitrag befindet sich im heruntergekommenen Stadtviertel Suujin, wo man über Jahrhunderte die ausgegrenzte Buraku-Community ansiedelte. Hoefner/Sachs versuchen zu kommunizieren, dass der bevorstehende Abbruch des Viertels das eigentliche Problem nicht lösen wird.

Damit hat man als regelmäßiger Besucher von Biennalen oder der Documenta spätestens hier ein Déjà-vu: Denn solche Auseinandersetzungen mit dem Urbanen gehören längst zum Repertoire dieser Formate – dieses Mal war es eben ein Stadtteil des wunderschönen Kioto. Gerade weil der Stadt dieser gute Ruf vorauseilt, haben die Projekte im urbanen Raum den touristischen Blick erweitert: So führt etwa Pipilotti Rists Beitrag in einen Wohnkomplex der 1950er-Jahre, wo man einen spannenden Einblick in den damaligen Alltag und die lange Geschichte beengten Wohnens in Japan bekommt.

Poetische Open-Air-Arena

Turner-Preisträgerin Susan Philipsz hat sich dagegen für die Weite des Kamo-River-Deltas entschieden: Mit ihrer unter drei Brücken installierten Soundarbeit "The Three Songs"
verwandelt sie den städtischen Dating-Hotspot in eine poetische Open-Air-Arena. Philipsz' zweites Soundpiece wird direkt vor dem Museum gespielt: Es handelt sich dabei um eine etwas nervtötende geloopte Version der Internationalen, mit der Kurator Kohmoto auch eine politische Agenda verfolgt: Er gibt damit ein ganz klares Statement für den internationalen Austausch von Kultur und Wissen und gegen zu viel Selbstbezogenheit des Landes ab. (Christa Benzer, DER STANDARD, 21.4.2015)