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Irakisches Militär in der Provinz Diyala.

Foto: AP

Im Frühjahr 2014 fiel die Miliz "Islamischer Staat" geradezu überfallsartig im Irak ein. Dass dem Aufstieg des IS jedoch eine konzentrierte Planung voranging, zeigen nun erstmals dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" vorliegende Dokumente eines ehemaligen Geheimdienstobersts unter Saddam Hussein, der sich zum IS-Chefstrategen aufgeschwungen hat. Samir Abed al-Mohammed al-Khleifawi – besser bekannt unter seinem Pseudonym Haji Bakr – wurde im Jänner 2014 bei Gefechten mit syrischen Rebellen getötet, die erst im Nachhinein erfuhren, wen sie vor sich hatten.

Bakr war nach der Auflösung des irakischen Militärs zwischen 2006 und 2008 in mehreren US-Gefängnissen, darunter auch in Abu Ghraib. Dort knüpfte er wichtige Kontakte zu Jihadisten, die er danach in der Vorläuferorganisation der IS-Terrormiliz nutzen konnte. Der Entwurf zur Etablierung eines islamischen Staates entstand in dieser Zeit. Das Machtvakuum in Syrien sollte der IS zuerst nützen, um dort möglichst viel Land zu erobern. Erst dann – so der Plan – werde man in den Irak einfallen.

Erpressungsmaterial gesammelt

Es blieb nicht bei groben strategischen Überlegungen. Bakrs Expertise als Geheimdienstoberst lässt sich in den 31-seitigen Dokumenten auch daran ablesen, dass in jedem Dorf zuerst ein bis zwei Männer damit beauftragt wurden, alle Details über die Gegebenheiten vor Ort auszuspionieren. Hierfür wurden islamische Missionszentren etabliert, die die zukünftigen Spione anwarben. Zu deren Aufgaben zählte neben einer detaillierten Aufstellung der einflussreichen Familien im Dorf auch das Aufdecken sämtlicher der Scharia widersprechender Laster, mit denen Personen dann erpresst werden konnten. Außerdem sollten IS-Rekruten in die mächtigsten Familien einheiraten. Die Aufzeichnungen sollten aber auch das Verhalten der Imame möglichst genau aufschlüsseln.

Überwacher wurden überwacht

Die Informanten waren meist junge Männer Anfang zwanzig, die Arbeit und Geld suchten. Aber auch frühere Geheimdienstspitzel oder Regimegegner fanden sich unter ihnen. Die Überwachung beschränkte sich nicht auf die zu erobernden Gebiete; die Organigramme von Bakr zeigen auch, dass in der IS-Spitzelriege jeder von jedem überwacht wurde – ein System, das auch unter Saddam Hussein schon perfektioniert wurde.

Bakr selbst verstand sich eher als Nationalist und nicht als Islamist, wie der Spiegel von Informanten aus dessen Umfeld erfuhr. Um der Gruppe ein religiöses Gesicht zu geben, wurde 2010 Abu Bakr al-Baghdadi zum offiziellen Führer des "Islamischen Staats" erkoren. Zwei Jahre später schließlich begann der Feldzug des IS in Syrien, allerdings zuerst mit vorwiegend ausländischen Kämpfern, die zahlenmäßig zwar unterlegen waren, deshalb jedoch auch von anderen Rebellengruppen unterschätzt wurden. Ein Kalkül, das aufging; die anschließende Eroberung des Iraks verlief ebenfalls ganz nach Bakrs Plan. (red, derStandard.at, 20.4.2015)