Wem die Stunde schlägt: Wecker der Wiener Gruppe.

Foto: Österreichische Nationalbibliothek / K. Pichler

Wien - "Dass sich in Wien ordentlich leiden lässt, das hat Grillparzer bewiesen", schreibt Franz Kafka. Und wahrscheinlich hätte der erst spät zum "Nationaldichter" stilisierte Grillparzer (1791-1872) seine Freude daran, dass an diesem Wochenende - also zu einer Zeit, wo wieder einmal über den "Beamtenapparat" diskutiert wird - ausgerechnet an jenem Ort, wo er als Direktor des Hofkammerarchivs seines für ihn so tristen Amtes waltete, das neue Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek eröffnet wird.

24 Jahre lang bewegte sich Grillparzer im nun als Museum adaptierten Gebäude in der Johannesgasse 6 im ersten Wiener Bezirk im Spannungsfeld von (Verwaltungs-)Realität und dichterischer Vision. Diese Kollision ist aber nur ein Feld, das anhand von 650 Exponaten (Briefen, Manuskripten, Tonaufnahmen, Plakaten etc.) von über 200 Autorinnen und Autoren in der Dauerausstellung auf den ersten zwei Stockwerken des Museums - im dritten finden ab 2016 Wechselausstellungen statt - behandelt wird.

Denn vor allem werden die insgesamt 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche dazu genutzt, die Entwicklung der österreichischen Literatur der vergangenen 250 Jahre erfahrbar zu machen. Und zwar unter Einbeziehung und entlang der historischen, sozialen, politischen und ökonomischen Umbrüche, von denen es in dieser einst mehrsprachigen und multiethnischen Literatur, die auch eine Literatur des erzwungenen Exils ist, nicht wenige gab.

Allerdings will das Literaturmuseum nicht nur ein Ort der Worte, sondern auch des Hörens und Sehens sein, der mehr den aktiven Besucher als den passiven Verehrer fordert. Zwar kommt man um die Ausstellung von Dichterdevotionalien wie Handkes Spazierstock oder einen von der Wiener Gruppe malträtierten Wecker nicht herum, sie werden aber mit Ironie präsentiert. Ansonsten bietet das Museum eine auch körperlich recht unmittelbare Begegnung mit Literatur. Zu sehen, hören und lesen gibt es in den fensterlosen und engen Ausstellungsräumen des ehemaligen Archivs (dessen Regalstruktur aus Denkmalschutzgründen teilweise beibehalten werden musste) mehr als genug. Vorbei an Vitrinenbändern und die mit Bildschirmen und 60 multimedialen Stationen bestückten Räume streifend, erwartet einen im zweiten Stock dann ein befreiender Blick in Grillparzers im Originalzustand erhaltenes lichtdurchflutetes Arbeitszimmer.

Mit dem Literaturmuseum wird nun ein langes, auf einer Idee des verstorbenen Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler beruhendes Projekt abgeschlossen. Man hat dafür eine Stange Geld in die Hand genommen. Umbau und Adaptierung beliefen sich auf 5,4 Millionen Euro (aus dem Bildung- und dem Wirtschaftsministerium), der laufende Betrieb schlägt mit jährlich 500.000 Euro zu Buche. Ob das auch mit Lesungen und Diskussionen bespielte Haus ein Museum für alle wird, wie dessen Direktor Bernhard Fetz hofft, wird sich weisen. Die Zeichen jedenfalls stehen gut, die Veranstaltungen und Führungen für Schüler sind ausgebucht.

Am Samstag und Sonntag ist das Museum bei freiem Eintritt geöffnet, gefeiert wird mit zehn Lesungen (u. a. Friederike Mayröcker), zudem werden Kurzführungen und eine Vorstellung des Museums durch Generaldirektorin Johanna Rachinger angeboten. (Stefan Gmünder, DER STANDARD, 18.4.2015)