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Ein internationaler Haftbefehl wird in jedem Land, das der Betroffene betritt, aufs Neue geprüft - auch innerhalb Europas.

Foto: APA/Gindl

Wien - Ünal E. ist ein freier Mann. Zumindest vorerst wieder. Sein Fall ist noch nicht abgeschlossen - und wird das womöglich auch nicht so bald sein. Denn, so erklärt László Szabó, sein österreichischer Anwalt: "Es handelt sich hier um ein Musterbeispiel dafür, dass die europäische Zusammenarbeit in Strafsachen nicht zu Ende gedacht wurde." Und das könne für jeden einzelnen Bürger fatale Auswirkungen haben.

Wie eben für seinen Mandanten: Der gebürtige Türke Ünal E. hat sich in seiner Studienzeit politisch engagiert, an Demonstrationen teilgenommen, Plakate aufgehängt. Wie die türkischen Behörden behaupten, sei er auch an zwei Anschlägen in Ankara in den Neunzigerjahren beteiligt gewesen. Dafür wurde er in der Türkei verurteilt. Er saß in Untersuchungshaft, konnte aber fliehen und sich nach Österreich absetzen, wo ihm zuerst Asyl gewährt und dann auch die österreichische Staatsbürgerschaft zuerkannt wurde.

Anerkennung von Haftbefehlen undurchsichtig

Dass österreichische Behörden den Fall geprüft haben, ist in seiner Heimat bedeutungslos. In der Türkei ist er ein flüchtiger Verbrecher, weshalb das Land einen internationalen Haftbefehl bei der kriminalpolizeilichen Organisation Interpol ausschreiben ließ. Österreich und, wie es heißt, auch Deutschland, haben dieses Auslieferungsgesuch nie anerkannt. Zu vage sei es. Im Urlaub in Italien wurde Ünal E. vergangene Woche dennoch festgenommen.

"Wer einmal auf dieser Fahndungsliste steht, kommt da kaum wieder runter", sagt Szabó. Welche Länder einen Haftbefehl anerkennen und welche nicht, sei kaum nachvollziehbar. "Entscheidet Innsbruck, einen Menschen nicht auszuliefern, macht das auch Wien nicht. Im vereinten Europa ist hingegen nichts einheitlich." Jedes Land prüft aufs Neue, auch wenn bereits andere Staaten entschieden haben, dass sie den Haftbefehl nicht vollziehen. Die Konsequenz daraus: "Obwohl Bewegungsfreiheit herrscht, sitzt mein Mandant im Grunde in Österreich fest."

Auslieferung eigener Bürger

Der Bereich Auslieferung ist unübersichtlich. "Diesem Komplex liegen unzählige völkerrechtliche Verträge zwischen einzelnen Staaten oder Gruppen zugrunde", sagt Verena Murschetz, Professorin für Internationales Strafrecht an der Universität Innsbruck. Innerhalb der Union gibt es seit dem Jahr 2002 den europäischen Haftbefehl, durch den Übergabeverfahren vereinfacht wurden. "Werden Auslieferungen erleichtert, geht das aber mitunter auf Kosten der Menschenrechte, die auch in Europa nicht überall im gleichen Maß eingehalten werden."

Für Szabó bedeutet das: "Europa arbeitet zusammen gegen den Bürger, bei der Arbeit für ihn wird jedoch differenziert." Er fordert: Europäische Bürger sollten von europäischem Boden aus grundsätzlich nicht an Drittstaaten ausgeliefert werden. "Eine gute Idee, die EU-rechtliche Umsetzbarkeit ist aber fraglich", sagt Murschetz.

Frei dank "politischer Kontakte"

Ünal E. wurde am Donnerstag aus dem venezianischen Gefängnis entlassen - wegen "politischer Kontakte", sagen seine Anwälte. Der Außenminister persönlich hatte sich für eine Rückkehr nach Österreich ausgesprochen. Das sei in solchen Fällen die absolute Ausnahme. E. wird sich im Mai dem Auslieferungsprozess stellen - vorerst muss er das nur in Italien. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 18.4.2015)