Der russische Schriftsteller Vladimir Vertlib wohnt in Salzburg. Wichtiger als die Wohnung ist ihm aber die Geborgenheit in der Natur. Mit Wojciech Czaja besprach er seinen Begriff von Ästhetik und Geschmacklosigkeit

"Ich bin 1981 im Alter von 15 Jahren nach Österreich gezogen. Davor gab es schon etliche Mietwohnungen, sogenannte Kommunalkas, in Russland sowie diverse Zwischenstationen in Rom, Ostia, Amsterdam, Scheveningen, Genf, Boston, New York sowie Kiryat Ono und Be'er Ja'akov in Israel. Viele Wohnungen in vielen Städten. Heute lebe ich mit meiner Frau in Salzburg. Am Anfang war es schwierig, mich an so eine mittelgroße Stadt zu gewöhnen. Doch mit der Zeit habe ich diesen Ort sehr zu schätzen gelernt.

Vladimir Vertlib sagt von sich selbst, dass er "keinen Stil und keinen Geschmack" besitzt. Die Wohnung in Salzburg wurde deshalb von seiner Frau eingerichtet. (Bildansicht durch Klick vergrößern)
Foto: Dietmar Tollerian

Ich habe auch noch eine kleine, 50 Quadratmeter große Wohnung in Wien, und zwar im 14. Bezirk. Aber das ist meine Arbeitswohnung, die ich hauptsächlich zum Schreiben nutze oder wenn ich aus beruflichen oder privaten Gründen in Wien bin. In gewisser Weise ist das eine reine Zweckwohnung, in der ich nur ungern meine Freizeit verbringe. Und Fremde lasse ich da auch nicht rein. Ein Außenstehender würde wahrscheinlich sagen, dass sie hässlich und geschmacklos eingerichtet ist. Meinen Ansprüchen genügt sie.

Ich muss gestehen, mir macht das Pendeln zwischen Salzburg und Wien nichts aus. Nach ein paar Jahren weiß man dann schon ganz genau, wann Redl-Zipf, wann Vöcklabruck, wann St. Valentin kommt. Mein Glück ist, dass ich mich im Zug, im Kaffeehaus, ja sogar auf der Parkbank gut konzentrieren kann. Dann nehme ich meinen kleinen Notizblock oder klappe meinen Laptop auf und schreibe. Ich bin gerne in Bewegung.

Die meisten meiner Bücher sind Arbeiten über Identität, Zugehörigkeit und das Sich-Einfinden in fremde Kulturen. Mein jüngstes Buch handelt von einer alten Frau und ihrem Zuhause in der Großen Mohrengasse in Wien, die aus Gründen der sogenannten politischen Korrektheit in Große Möhrengasse umbenannt werden soll.

Veränderung ist für mich ein wichtiges Thema. Dennoch: In gewisser Weise bin ich hier in Salzburg zu Hause angekommen, und ich möchte nie wieder von A nach B umziehen müssen. Die Wohnung ist mein ganz persönlicher Rückzugsort. Sie hat 94 Quadratmeter, wobei ich dazusagen muss, dass es mir schwerfällt, zu geschlossenen Räumen eine Beziehung aufzubauen. Ich denke, das hat mit meinen Migrationserfahrungen zu tun. Als Kind und Jugendlicher hatte ich nie die Möglichkeit, Bindungen zu unseren vielen Wohnungen aufzubauen. Kaum hatte ich mich an sie gewöhnt, mussten wir wieder weg.

Wichtiger Bestandteil unserer Wohnung ist für mich daher der Garten. Er ist wie eine Verlängerung des Wohnzimmers - mit offenen Grenzen. Draußen im Garten zu sein, das hat für mich etwas Befreiendes, etwas Kontemplatives. Und zugleich fühle ich mich im Garten geschützt und geborgen. Ich liebe es zum Beispiel, die Enten zu beobachten, die manchmal in unserem Teich schwimmen oder durch unseren Garten spazieren, und mir Gedanken darüber zu machen, was sie denken und wen sie gerade beobachten.

Ein Raum, in dem ich mich besonders wohlfühle, ist der Sprachraum. Das ist für mich ein Raum mit offenen Grenzen, der ein Hin- und Hergehen ermöglicht.

Was die baulichen Räume betrifft: Ich habe keinen Stil und keinen Geschmack. Alles, was Sie hier sehen, wurde von meiner Frau gestaltet. Sie hat einen guten Sinn für Ästhetik, also für die Fähigkeit, einen Raum so einzurichten, dass man sich darin wohlfühlt. Ich bin ihr sehr dankbar dafür, dass sie sich um die Einrichtung kümmert, denn wenn ich mich darum kümmerte, dann weiß ich nicht, wie die Wohnung aussehen würde. Wahrscheinlich würde sie dann gar nicht aussehen." (DER STANDARD, 18.4.2015)