Liam Neeson und Joel Kinnaman fliehen durch die Nacht.

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Wien - Ein junger Mann zielt mit der Pistole auf einen Polizisten, der nach einer wilden Verfolgungsjagd aus dem auf dem Dach liegenden Auto gekrochen ist. "Tu es nicht, Sohn", sagt da der Vater ruhig - und erschießt den Verfolger eigenhändig.

In dem Actionthriller Run All Night kehrt diese Situation - geradezu märchenmäßig - in verschiedenen Variationen wieder. Das "Ritual" zwischen Vater Jimmy Conlon (Liam Neeson) und Sohn Mike (Joel Kinnaman) ist ein wichtiger Schlüssel zum Film. Die Sache ist nämlich die: Der Vater will um jeden Preis vermeiden, dass der Sohn die eigenen Fehler wiederholt.

Beim Papa ist es dagegen schon wurscht. Er hat Fehler gemacht, für die es mehr als ein Leben braucht, um sie wiedergutzumachen. Versehen mit dem Beinamen "Gravedigger" diente er lange Jahre in der New Yorker Halbwelt als Berufskiller. Mittlerweile nietet sich der Reuige - mittels Alkohol - allerdings nur mehr selber um und gibt im Haus des Paten Shaun McGuire (Ed Harris) sternhagelvoll den Weihnachtsmann.

Dass Conlon in Run All Night wieder zur Waffe greift, liegt einzig daran, dass er Leben und Unbeflecktheit seines Nachfahren schützen will. Der verhängnisvolle "Startschuss" für die Lauferei, die die ganze Nacht dauern soll, trifft dabei ausgerechnet den Sohn McGuires, der ansonsten den eigenen Spross getötet hätte: Mike Conlon war als Chauffeur unschuldig in eine dubiose Geschäftsabwicklung involviert.

Dass Papa Conlon sogleich seinen alten Freund McGuire anruft, um ihm vom Tod des Sohnes zu berichten, hilft auch nichts. Der Pate gibt zu verstehen, dass er erst ruhen wird, wenn er den Verlust mit gleicher Münze heimgezahlt hat. Beim Gespräch im Restaurant vereinbaren die beiden dann, was den größten Teil von Run All Night ausmachen wird: eine wilde Jagd quer durch die Stadt, bei der Sohn Mike jedenfalls vor Jimmy Conlon sterben soll. Hauptagent von McGuires Rache und eigentlicher Oberbösewicht ist dabei ein anderer Berufskiller, dessen Pistole mit mehr Bass ertönt als alle anderen.

Die Verfolgungsjagd bis zum Morgengrauen inszeniert Regisseur Jaume Collet-Serra in hübschen Bildern. Gleichzeitigkeit zwischen entfernten Ereignissen signalisiert er etwa, indem er das Geschehen einfriert und die Kamera von einer stillgelegten Straßenschlucht in die nächste jagt. Wohl choreografierte Hatzen durch U-Bahn-Stationen oder einen Wohnblock machen Spaß.

Testosteron vor Reflexion

Insgesamt ist Run All Night ein atmosphärisch gelungener Genrefilm, der darüber hinaus allerdings wenig hergibt. Ansätze zu tieferführenden Reflexionen dieser testosteronschwangeren Atmosphäre, etwa in diversen Vater-Sohn-Dialogen, gehen in Action unter. Ein poetisches Bild in diesem B-Movie geben jedoch Pate Ed Harris und sein ehemaliger Profikiller ab, wenn der eine nach dem Zwischenfinale im Morgengrauen sterbend in den Armen des anderen liegt.

Run All Night ist die dritte Zusammenarbeit zwischen Regisseur Collet-Serra und Liam Neeson. Wie in Unknown und Non-Stop verkörpert der 62-jährige Nordire auch hier eine Figur, die, wiewohl abgehalftert, ungebrochen an einem gewissen Ethos festhält. Sein Kunststück, einen Killer zum sympathischen Antihelden zu machen, ist dabei durchaus ein Grund, sich Run All Night anzuschauen. (Roman Gerold, DER STANDARD, 17.4.2015)