Wien/Auschwitz - Auschwitz ist nicht weit weg, sondern ein wichtiger und oft vernachlässigter Teil der österreichischen Geschichte. Die neue Länderausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau soll vor allem Verbindungen zwischen der Lagerrealität und der Geschichte des Nationalsozialismus in Österreich aufzeigen, erklärte Hannes Sulzenbacher, Leiter des mit der Neugestaltung beauftragten Teams der APA.

Umgesetzt wird das neue Ausstellungskonzept in den zwei zentralen Bereichen "Hier" (Auschwitz) und "Dort" (Österreich), die in der Ausstellung einander gegenüber gestellt werden. "Die ursprüngliche Idee war, eine Ausstellung in Auschwitz und eine in Österreich zu machen und diese am jeweils anderen Ort zu spiegeln", so Albert Lichtblau, Historiker an der Universität Salzburg und wissenschaftlicher Leiter des Vorhabens. Die Idee entstand aus dem Befund, dass nur sehr wenige Österreicher die Gedenkstätte in Auschwitz besuchen, obwohl es dort bis Oktober 2013 auch eine nationale Ausstellung im Block 17 gab. Aus Singapur werden etwa knapp mehr Besucher gezählt als aus Österreich.

Parallele Dauerausstellungen

Das Konzept mit den parallelen Dauerausstellungen hatte so kaum Chancen auf Umsetzung, doch mit einer Abwandlung des Ansatzes ging das Team um Sulzenbacher und Lichtblau dann 2014 als Sieger der europaweiten Ausschreibung des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus hervor. Den Wettbewerb zur gestalterischen Umsetzung gewann der Wiener Architekt Martin Kohlbauer. Das Ausstellungskonzept und dessen geplante gestalterische Umsetzung werden im Juni im Wien Museum präsentiert.

Die Eröffnung soll entgegen der ursprünglichen Planung (Frühjahr 2015) erst 2017 erfolgen. Laut dem Nationalfonds beträgt das Projektbudget für die Schau insgesamt rund eine Million Euro. Die Kosten für die Sanierung des Blocks 17 ist in dieser Summe nicht enthalten.

Konzept setzt auf "Entfernung"

Einen zentralen Platz in dem Konzept nimmt der Begriff "Entfernung" ein. Einerseits gehe es um die Distanz, andererseits um die Entfernung unglaublich vieler Menschen aus dem Leben, wie es Lichtblau ausdrückte: "Es geht uns zum Schluss aber auch darum, diese große Lücke, die entstanden ist, wieder ein wenig zu schließen." Klar sei jedoch, dass es Anbindung an Österreich brauche, sonst drohe das Interesse kurz nach der Eröffnung schnell wieder abzuebben.

Den Brückenschlag will man mit dem Ausstellungsbereich über den Nationalsozialismus in Österreich schaffen, der dann "abgefilmt" wird. Objekte, die Österreich betreffen und die von Verfolgung und Deportation erzählen, werden dafür nicht nach Auschwitz gebracht. Dieser Teil der Schau wird in Polen lediglich auf großen Screens zu sehen sein, erklärte Birgit Johler, Kuratorin und Kulturwissenschafterin am Museum für Volkskunde Wien.

Kontakt zu Überlebenden

Ein zentrales Element im Konzept sind Objekte, die im Bezug zu den Menschen, die an diesen furchtbaren Ort gebracht wurden, stehen. Das Team stehe hier in regem Kontakt mit Überlebenden und deren Angehörigen, die solche Objekte möglicherweise zur Verfügung stellen könnten. Gegenstände, die Auschwitz betreffen, werden dann im gerade im Umbau befindlichen Block 17 in Vitrinen im Original zu sehen sein. Die Bildwände mit den auf Österreich bezogenen Inhalten werden dann dahinter stehen.

"Österreich und Auschwitz rücken dadurch zusammen, aber Österreich ist nur virtuell da und Auschwitz ist real", sagte Johler. Es soll auch die Möglichkeit geben, Gedanken in Auschwitz in einer elektronischen Nachricht zu artikulieren, die dann nach Österreich übermittelt und an einem noch nicht definierten Ort dargestellt wird.

Gleichzeitig versuche man auch räumlich getrennte Geschichten wieder zu verbinden, wie Christiane Rothländer, Zeithistorikerin und Lektorin am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien, betonte. Das könne etwa über das Erzählen von Schicksalen - von der Verfolgung in Österreich über die Deportation bis zu dem, was dann im Konzentrationslager Auschwitz oder im Vernichtungslager Birkenau passierte - geschehen. Dem Biografischen will man auch die strukturelle Ebene - also die Verfolgungsinstitutionen und die Menschen, die direkt an der Massenvernichtung beteiligt waren - gegenüber stellen.

Täterland

"Österreich hat eine ganz besondere Geschichte. Wir sind nicht nur ein Opferland, wir sind eben auch ein Täterland", erklärte die Historikerin Christiane Rothländer, die Teil des Ausstellungsteams zur neuen Schau ist. Das Thematisieren der Mittäterschaft sei das Besondere an der zukünftigen Ausstellung. In der 1978 eröffneten "alten" Länder-Schau wurde das noch nicht explizit angesprochen.

Dort präsentierte sich Österreich noch als "Erstes Opfer des Nationalsozialismus". Auf einem riesigen Bild im Eingangsbereich marschierten etwa Soldatenstiefel über die rot-weiß-rote Karte Österreichs. Diese erste Ausstellung wurde von Verfolgten und ehemaligen KZ-Häftlingen umgesetzt. Sie hätten sich und auch Österreich nachvollziehbarerweise in erster Linie als Opfer begriffen. "Aus ihrer Perspektive ist das verständlich", so Rothländer. Inzwischen sei die Forschung aber vorangeschritten und die öffentliche Wahrnehmung habe sich verändert. Das früher gerne strapazierte Bild des ersten Opfers sei so heute nicht mehr haltbar.

Website

Ein wichtiger Zusatz zur Ausstellung wird auch eine Website sein, auf der die Auseinandersetzung mit Auschwitz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Platz haben wird. "Wir müssen alle Inhalte, die die Entwicklungen in Österreich nach 1945 betreffen, also die juristische, politische und gesellschaftliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus, in die Website auslagern, da es strenge Richtlinien des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau gibt, die besagen, dass in den Länderausstellungen lediglich die nationalsozialistische Lagerzeit zum Inhalt gemacht werden darf", so der Projektleiter der neuen Ausstellung Hannes Sulzenbacher.

Österreichische Besucher der neuen Ausstellung würden die Darstellung des Umgangs Österreichs mit seiner Vergangenheit sicherlich erwarten, doch seinen hier eben klare Grenzen gesetzt. Die alte Ausstellung mit ihren Stärken und Schwächen werde man im neuen Konzept aber trotzdem "bewusst aufgreifen", so der wissenschaftliche Leiter Albert Lichtblau, wenn auch nur mit kleinen Hinweisen, die die Veränderung der Sichtweise in Österreich vor allem ab den 1980er Jahren thematisieren.

Noch immer Fehlstellen

Auch die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschehnisse bis 1945 ist noch immer voll im Gange. "Im Zuge der Planung wird uns oft bewusst, was man in diesem Zusammenhang alles noch nicht weiß, welche Fehlstellen es noch immer gibt", so Sulzenbacher. Das beginne bereits beim Versuch festzumachen, wie viele Menschen aus Österreich in Auschwitz und Birkenau ermordet wurden. "Wir versuchen die Opferzahlen natürlich so weit wie möglich zu eruieren. Es wird aber niemals möglich sein, die absolute Gesamtzahl wirklich herauszufinden - eine ungefähre Zahl aber schon", erklärte Rothländer.

Bis jetzt herrschte etwa die Ansicht vor, dass es nur einen direkten großen Transport von Wien aus gegeben hat. "Aufgrund der Archivalien die ich jetzt in Auschwitz recherchiert habe, steht fest, dass es noch zwölf kleinere Transporte gegeben hat, bei denen die Zahl der Deportierten noch zu eruieren ist ", erklärte die Historikerin. Die geschätzte Zahl der aus Österreich nach Auschwitz Deportierten liegt bei etwa 16.000.

Thematisiert werden in diesem Zusammenhang aber auf jene Institutionen und Personen, die für die Durchführung der Deportationen verantwortlich waren, so etwa auch jene Schutzpolizisten, die diese Transporte begleiteten. Überhaupt sei im Bereich "Täterschaft" noch vieles zu erforschen.

Rothländer: "Wir versuchen, möglichst viele Geschichten zu finden in denen sich auch das Schicksal von Tätern und Opfern überschneidet. Der sehr wichtigen und bekannten österreichischen Widerstandsgruppe wird sich die Schau zwar ebenfalls widmen, man wolle aber vor allem versuchen, neue Aspekte in der Darstellung von Österreichern in Auschwitz einfließen zu lassen und auch bisher unbekannte Biografien in den Mittelpunkt zu rücken.

Dass es nun endlich einen neuen Anlauf gibt, die Verbindungslinien zwischen Österreich und Auschwitz nachzuzeichnen, werde von Überlebenden und betroffenen Familien durchwegs positiv aufgenommen. "Viele sind dankbar, dass ihre Lebenserinnerungen auch von uns aufgenommen werden", erklärte die Kulturwissenschafterin Birgit Johler. "Für mich wäre es schön, wenn die Überlebenden mit unserer Arbeit zufrieden sind", sagte Lichtblau auf die Frage, wann für ihn die Ausstellung ein Erfolg sei. Leider werden dann "nur noch ganz wenige Menschen da sein", die das beurteilen können, so der Historiker.

Schön wäre auch, wenn man dazu beitragen könnte, dass künftig mehr Österreicher die Gedenkstätte besuchen. "Ich glaube, dass die Leute jetzt auch bereiter sind, sich diesem Ort zu stellen", zeigte sich Johler überzeugt. (APA, 15.4.2015)