Damian Izdebski: "Läuft alles gut, wird man in seiner Naivität bestärkt und ist geblendet von dem, was man macht."

Regine Hendrich

STANDARD: Sie haben eine 25-Millionen-Euro-Pleite hinter sich. Was muss passieren, damit Sie sich als Unternehmer geschlagen geben?

Izdebski: Welche Option habe ich? Ich habe eine Familie zu ernähren, zwei Kinder, das Leben geht weiter. Wenn mir einer andere sinnvolle Möglichkeiten vorschlägt ...

STANDARD: Sie könnten sich wo anstellen lassen, mit geregeltem Einkommen, fixen Arbeitszeiten.

Izdebski: Ich passe in keine Konzernstruktur. Ich will eigene Ideen realisieren, Entscheidungen treffen, schnell und selbstständig.

STANDARD: Sie waren zuletzt eine Zeit lang in Kalifornien. Wie erklären Sie sich den lockeren Umgang der Amerikaner mit dem Scheitern?

Izdebski: Sie haben mich als Gesamtpaket gesehen, als einen, der auf einem kleinen Markt ein Unternehmen gegründet und aufgebaut hat, Pionier des E-Commerce war, eine Milliarde umsetzte. Alles ist zusammengekracht – trotzdem haben sie den gesamten Weg betrachtet. In Österreich wurden die 15 Jahre davor sofort ausgeblendet, nur noch das Scheitern zählte. Das betrifft nicht nur mich, sondern viele Unternehmer. Die Amerikaner sind sich zudem bewusst, dass Unternehmertum mit Risiko zu tun hat. Geht es schief, versuchen sie es anders erneut.

STANDARD: Warum sind Sie nach Österreich zurückgekehrt?

Izdebski: Ich will meine Familie nicht auseinanderreißen. Meine Kinder sind hier aufgewachsen, meine Frau hat hier eine Arbeit gefunden. Angebote waren da: Ich habe begonnen, als Angestellter für einen internationalen IT-Konzern zu arbeiten. Aber nur vier Tage lang. Das war alles zu langsam: Man muss 20 Leute fragen. Ist deine Idee gut und geht sie auf, waren alle dabei. Geht es schief, will dich jeder gewarnt haben.

STANDARD: Marktkenner sagen, Sie haben ein 100-Millionen-Euro-Unternehmen mit den Strukturen eines Start-ups geführt. Die Buchhaltung soll chaotisch gewesen sein.

Izdebski: Das sagen Menschen, die keinen Einblick haben. Wir hatten auch bei einem Wachstum von 20 bis 30 Prozent im Jahr saubere Strukturen. Wie sonst hätten wir gut eine Million Onlineaufträge abwickeln können? Die Kunden waren zufrieden. In den Monaten nach der Insolvenzeröffnung gingen jedoch die Buchhalterinnen nach Hause.

STANDARD: Sie waren ein gefeierter Unternehmer. Warum haben Sie alle finanziellen Notwendigkeiten ungebremstem Wachstum untergeordnet? Schon ziemlich blauäugig.

Izdebski: Ditech war bis zuletzt profitabel. Es war kein Größenwahn. Aber der Handel ist wie eine große Maschine, die Geld im Kreis dreht. Vor allem im IT-Geschäft sind die Margen überschaubar, alles wird vorfinanziert. Man erzielt kleine Gewinne, muss aber wachsen. Die Kosten steigen jährlich um zwei bis drei Prozent. Die Preise fallen. Allein um den Umsatz zu halten, muss ich die Stückzahl um 15, 20 Prozent im Jahr erhöhen, wofür ich wieder in Filialen, Onlineshop, Logistik investieren muss. Gewinne werden verschlungen. Man ist zu Wachstum verdammt, ein Teufelskreis.

STANDARD: Was hätten Sie anders machen müssen?

Izdebski: Die Fremdfinanzierung lief bis 2013 über die Banken. Eine viel wichtigere Rolle spielten die Kreditversicherer, ohne sie gibt es keine Versicherung der Lieferanten. 14 Jahre lang gingen sie den Wachstumskurs mit uns mit. Aber es war naiv von mir zu glauben, dass das ewig so weiterläuft.

STANDARD: Gab es Warnungen?

Izdebski: Läuft alles gut, wird man in seiner Naivität bestärkt, ist geblendet von dem, was man macht. Zwei, drei Jahre vor der Insolvenz hätte ich es nüchterner betrachten müssen. Ich hätte das Thema Eigenkapital angehen müssen, um die Bonität zu verbessern, und einen Finanzpartner holen.

STANDARD: Wie sehen Sie das Insolvenzrecht rückblickend?

Izdebski: Wir haben fähige Masseverwalter mit viel Erfahrung. Österreich hat kein rechtliches Problem, aber ein kulturelles. Wer erfolgreich ist, wird gehypt, geliebt. Wer stolpert und Hilfe bräuchte, wird geprügelt. Unternehmer, die einmal scheiterten und eine Insolvenz im Lebenslauf haben, dürfen kein zweites Mal aufstehen. Es gibt Menschen, die sich wünschen, ich wäre tot, die nicht verstehen, warum ich mich in Österreich überhaupt noch blicken lasse. Manche behandeln einen wie den größten Verbrecher. Man muss psychisch stabil sein, um es durchzustehen.

STANDARD: Und die Banken?

Izdebski: Sie haben versucht, uns zu retten, waren die Letzten, die uns fallen gelassen haben. Aber heute ist die Bonität eines 20-jährigen Jungunternehmers, der eine Firma gründen will, höher als meine. Und die Banken wollen nicht mehr mit mir zusammenarbeiten. Was zählt, ist die rote Zeile im Lebenslauf. Ich verstehe es, kann das ja alles nachvollziehen, aber einen Neustart erleichtert es nicht.

STANDARD: Was sagen Sie Gläubigern, die um gut 99 Prozent ihrer Forderungen umfallen?

Izdebski: Ich habe alles versucht, um das zu verhindern, alles verloren, was ich hatte. Vier Monate vor der Insolvenz habe ich mit unseren Ersparnissen noch eine Kapitalerhöhung gemacht, um zu zeigen, dass wir dran glauben, dass wir alles, was wir haben, in das Unternehmen investieren. Es ist uns nicht gelungen, es zu retten, und das tut mir zutiefst leid. Ich kann mich dafür nur entschuldigen. Ich habe nicht einen strategischen Fehler gemacht, sondern viele kleine. Die verschärfte Lage auf den Finanzmärkten kam dazu.

STANDARD: Reue zu zeigen hat in Österreich nicht gerade Kultur, das zeigt nicht nur die Hypo-Krise.

Izdebski: Klar wäre es leichter, auf Schuldige zu zeigen, um so selbst sauber dazustehen. Aber ich kann nur mich dafür verantwortlich machen. Ich will auch jetzt nicht den Eindruck erwecken, dass ich cool auf der Bühne stehen will. Aber ich habe wertvolles Wissen gesammelt – es wäre schade, das nicht weiterzugeben. Meine besten Fehler waren die, aus denen ich am meisten lernen konnte.

STANDARD: Wie sehr schmerzt es, den Lebensstil ändern zu müssen?

Izdebski: Ist das Einkommen weg, gibt es keine Reserven, um sich zurückzulehnen und die Welt anzusehen – muss man alles ändern, auf alles verzichten, das verzichtbar ist, schauen, dass die Ausbildung der Kinder weitergeht, dass man ein Dach über dem Kopf hat. Und alle Energie in die Arbeit investieren, in eine 80-Stunden-Woche. Zu glauben, dass sich in 38 Stunden Unternehmen aufbauen lassen, die Illusion kann ich jedem nehmen, der sich selbstständig machen will. Es gibt einen halben Sonntag für die Familie, abends sitzt man wieder vorm Computer.

STANDARD: Sie sind mit zwei kleinen Betrieben neu gestartet. Kunden erzählen, Sie reparieren selbst, kraxeln Leitern rauf und runter ...

Izdebski: Wir sind neun Leute, keine Hierarchien, keine Abteilungen, alles Allrounder. Ich bin eine Arbeitskraft wie alle anderen. Was ich kann, ist Betriebe aufzubauen, Jobs zu schaffen, Steuern zu zahlen, auf diesem Weg einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und ein Einkommen für meine Familie zu schaffen. Gelingt es mir, das, was ich aus der Krise gelernt habe, umzusetzen und in ein Unternehmen zu gießen, wird es funktionieren. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 16.4.2015)