Seit kurzem zur Verfügung stehende Medikamente zur Immuntherapie bestimmter Krebsformen könnten eine höhere Wirksamkeit als andere moderne Therapien gegen bösartige Erkrankungen besitzen. Es geht um das Herstellen eines Gleichgewichts zwischen den körpereigenen Abwehrkräften und dem Tumorwachstum, erläuterten Experten des Wiener Comprehensive Cancer Center (CCC) im AKH.
Der Koordinator des CCC von AKH und MedUni Wien, der Onkologe Christoph Zielinski, sagte zu den neuen Entwicklungen: "Es gibt seit drei bis vier Jahren eine explosionsartige Vermehrung des Wissens über die Möglichkeiten zur Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Abwehr und Wachstum eines Tumors. Man hat verstanden, dass Tumore in der Lage sind, die immunologische Abwehr gegen sie selbst zu unterdrücken."
Perfide Strategie
Die bösartigen Zellen benutzen dazu Proteine an ihrer Zelloberfläche, welche zielgenau an Rezeptoren der Abwehrzellen - den T-Lymphozyten - binden. Solche Rezeptoren sind beispielsweise CTLA-4 (Cytotoxic T-Lymphocyte Antigen 4) und PD-1 (Programmed Cell Death 1). Diese Rezeptoren haben normalerweise die Aufgabe, eine überschießende Immunreaktion über das Bremsen der Aktivität der T-Zellen zu hemmen.
Bei Krebserkrankungen aber kippt diese von den Tumorzellen verursachte Wirkung ins Negative. Seit kurzem zugelassene monoklonale Antikörper wie Ipilimumab (CTLA-4-Blocker) oder Nivolumab und Pembrolizumab (PD-1-Blocker) verhindern das und befeuern damit die Aktivität des Immunsystems gegen die Krebserkrankung.
Malignes Melanom als Paradebeispiel
"Die Wirksamkeit ist beim metastasierten Melanom um vieles besser als die Chemotherapie. Nach zwei bis drei Jahren leben noch rund 50 Prozent der Patienten", sagte Zielinski zum Effekt von Ipilimumab. Bis zur Entwicklung dieses Arzneimittels habe die durchschnittliche Lebenserwartung von Melanom-Kranken mit fortgeschrittener, metastasierter Erkrankung rund sechs Monate betragen. Ein Problem liegt allerdings darin, dass CTLA-4-Hemmstoffe das Immunsystem generell anheizen, was zu deutlichen Nebenwirkungen führen kann.
Die gegen PD-1 gerichteten monoklonalen Antikörper verhindern hingegen direkt den für die Unterdrückung der Funktion der T-Zellen notwendigen Kontakt zwischen Tumor- und Abwehrzellen. Der Effekt ist damit stärker fokussiert und dies bei weniger Nebenwirkungen. Zum Teil erstaunliche Behandlungserfolge wurden hier bei bestimmen Formen von Lungenkrebs, beim Nierenzell- und beim sogenannten Triple-Negativen Mammakarzinom, für das es bisher keine Alternative zur traditionellen Chemotherapie bei den Medikamenten gab.
Immuntherapie als neuer Baustein
"Ich bin überzeugt, dass diese Immuntherapie einer der größten Durchbrüche in der Behandlung von Krebs ist", sagte Walter Berger, Grundlagenforscher vom Institut für Krebsforschung in Wien.
Ein Grund dafür: Tumore entwickeln regelmäßig sowohl gegen die Chemotherapie als auch gegen die sogenannten zielgerichteten Therapeutika, welche in den vergangenen zehn Jahren zu großen Behandlungserfolgen geführt haben, nach einiger Zeit Resistenzen. Sie umgehen die jeweiligen Wirkmechanismen der Arzneimittel.
"Krebszellen werden genomisch instabil. Sie können anfangen, auf dem gesamten 'Klavier' (der Fähigkeiten; Anm.) zu spielen, welche Zellen im Laufe der Evolution erlernt haben", sagte der Biologe. Ein solches Ausweichen gegenüber einer wieder in Gang gebrachten körpereigenen Tumor-Abwehrreaktion sei wahrscheinlich für die bösartigen Zellen deutlich schwieriger zu bewerkstelligen. Allerdings: auch mit den neuen Therapien werde man Krebs generell nicht heilen, wohl aber zunehmend zu einer chronischen Erkrankung machen können.
Kein glatter Durchmarsch
Allerdings ist die Wissenschaft rund um Krebs wegen der Komplexität der in den Zellen ablaufenden Mechanismen auch nie vor bösen Überraschungen gefeit. Ein Beispiel: Plausibel erschien noch bis vor kurzem, dass man mit ganz exakt auf bestimmte molekularbiologische Merkmale von Tumorzellen zielenden Therapeutika dafür passende Tumorerkrankungen verschiedener Organe behandeln kann. Die Realität zeigte aber in manchen Fällen, dass sich die Erwartungen nicht erfüllen lassen. (APA, derStandard.at, 15.4.2015)