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Das Lessing-Museum in Kamenz: Der Dichter sah den Ring als magisch, denn er macht aus seinem Träger einen guten Menschen.

Foto: APA/dpa/ atthias Hiekel

Wien - Die Ringparabel kennt man aus dem Deutschunterricht: Eine Familie besitzt einen kostbaren Ring, der traditionsgemäß an den meistgeliebten Sohn weitergegeben wird. So passiert das über viele Generationen, bis ein Vater sich zwischen seinen drei gleichermaßen geliebten Söhne nicht entscheiden kann und heimlich zwei vom Original ununterscheidbare Ringe anfertigen lässt. Nur ein Sohn erhält den Familienschatz, zwei eine Kopie. Nach dem Tod des Vaters beansprucht jeder seinen Platz als Familienoberhaupt. Obwohl alle drei von der Echtheit ihres Ringes überzeugt sind, muss ungeklärt bleiben, wer den wahren Ring besitzt.

Dieses Herzstück von Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise erhält heute, angesichts zahlreicher religiös motivierter Konflikte und Kriege, eine traurige Aktualität. Die streitenden Söhne symbolisieren die drei Weltreligionen, die um eine Wahrheit kämpfen, die notwendigerweise unbewiesen bleibt. Die Universität Wien lud vergangene Woche zu einem Symposium ein, das die christliche, jüdische, muslimische, aber auch kulturwissenschaftliche Lesart sowie die historische und aktuelle Bedeutung der Ringparabel untersuchte.

Eignet sich diese Parabel als "Paradigma für die Verständigung zwischen den Religionen heute" überhaupt noch? Jan Assmann bejahte diese Frage. Der deutsche Kulturwissenschafter und Ägyptologe zeichnete die Geschichte der Ringparabel nach: bereits im Mittelalter entstanden, taucht sie in Giovanni Boccaccios Das Dekameron auf, das wiederum Vorlage für Lessings Text ist. Assmann zeigte, dass alle Versionen der Ringparabel Respekt für die anderen Religionen einfordern, dass aber der deutsche Aufklärer Lessing der Moral von der Geschichte eine neue, humanistische Qualität gab. Denn Lessing beschreibt den Ring nicht nur als kostbar, sondern lädt ihn magisch auf: er hat die Macht seinen Träger vor Gott und seinen Mitmenschen angenehm zu machen. Um die Echtheit seines Ringes zu beweisen muss somit jeder Sohn danach streben, sich zu den Menschen und zu Gott gut zu verhalten.

Wahrheit ist nicht gegeben

Die Wahrheit ist nicht gegeben, sondern "performativ", wie Assmann argumentierte: "Die Unentscheidbarkeit der Wahrheitsfrage wird in den Wettstreit um das Gute verlagert." Jeder Sohn ist dazu angehalten so zu tun, als ob sein Ring der wahre wäre und demgemäß zu handeln. "In diesem 'als ob' steckt die Provokation der Ringparabel", sagte Assmann, es ist die Definition des Glaubens. Die Lehre der Parabel sei: Es siegt nicht die beste Theologie, sondern die beste Handlungsweise.

Negatives Bild des Judentums

Der Frankfurter Erziehungswissenschafter Micha Brumlik las Lessings Text "Die Erziehung des Menschengeschlechts", der um 1779 zeitgleich mit Nathan der Weise entstand, aus jüdischer Perspektive und meinte, dass in dieser Schrift ein negatives Bild vom Judentum gezeichnet wird. Lessings These ist, dass man die individuelle Erziehung eines Menschen auf die Entwicklung des gesamten Menschengeschlechts umlegen könne. Brumlik schließt daraus, dass das Christentum, das auf dem Judentum aufbaut, weiter entwickelt sei.

"Und der Islam fehlt hier völlig", brachte Christoph Schulte, Religionsphilosoph der Uni Potsdam, in die Diskussion ein. Im 18. Jahrhundert würde das Bild des Judentums als Vorstufe zum Christentum häufig bemüht und der Islam in die Orientalistik ausgelagert und aus dem philosophischen Mainstream verbannt. "Das kann man nicht mehr reparieren", gab er zu bedenken.

Die Organisatoren der Tagung bemühten sich dennoch darum: Ahmad Milad Karimi forscht über islamische Theologie und Philosophie an der Universität Münster und ist zudem Koranübersetzer. "Ich wünschte, ich wäre eine Frau, dann hätte ich gleich zwei Quoten erfüllt", scherzte der junge Religionswissenschafter. Denn während es den Organisatoren der Tagung gelang die drei Religionen einzubinden, fiel das einseitige Geschlechterverhältnis des rein männlich bestrittenen Podiums auf.

Karimi charakterisierte den Islam als theologisches Streitgespräch. "Streitet mit den Leuten der Schrift auf die schönste Weise nur", zitierte er den Koran. "Schönheit" sei hier zu verstehen im Sinne von etwas, das man nicht zu verändern wünscht. In das Streitgespräch gehe man aus Interesse am Anderen, aber nicht mit dem Ziel, diesen zu verändern. Die Wahrheit sei niemals zu besitzen, sondern immer nur Sehnsucht. "Die Wahrheit ist der verlorene Ring." (Julia Grillmayr, DER STANDARD, 15.4.2015)