"Ist es nicht Zeit für eine Frau im Weißen Haus?" Mit diesem Aufruf zieht Hillary Clinton in ihren Kampf um die US-Präsidentschaft. Tatsächlich wäre eine Frau an der Spitze eine starke Geste in Richtung Gleichberechtigung - ähnlich historisch wie die Wahl des Afroamerikaners Barack Obama.

Aber abgesehen von ihrem Geschlecht ist Clinton kein Signal für einen Aufbruch. Dafür ist sie erstens schon zu lange im politischen Geschäft in Washington - als First Lady, Senatorin und Außenministerin. Und zweitens ist Clinton von ihrem Naturell her keine Visionärin. "Hope" und "Change" - Obamas Slogans von 2008 - sind ihre Sache nicht. Sie besticht vor allem durch Erfahrung, Fleiß, Kampfgeist, diplomatisches Geschick und einen ausgeprägten Pragmatismus - eine Frau im Stil einer Angela Merkel.

In vielen Sachfragen weiß niemand genau, wofür Clinton eigentlich steht. Aber viele trauen ihr zu, vernünftige Positionen zu finden. Beobachter gehen davon aus, dass Clinton Obamas Politik fortsetzen wird, aber sich gegenüber dem politischen Gegner zu Hause - und vielleicht auch gegenüber den Feinden der USA in der Welt - besser durchsetzen kann als der Professor mit der allzu intellektuellen Attitüde.

Das mag für die Demokraten im Wahljahr 2016 gerade richtig sein. Denn linke Visionen lassen sich gegen die republikanische Mehrheit im Kongress, die wohl noch lange bestehen wird, ohnehin nicht durchsetzen. Das mag - neben Clintons hervorragendem Netzwerk und ihrer Organisationsstärke - erklären, warum sich ihr kein ernsthafter Herausforderer in der Partei entgegenstellt und sie eine gute Chance hat, zur Nominierung wie noch nie zuvor ein Kandidat zu segeln.

Wer auf frischen Wind und neue Ideen hofft, der wird sie viel eher bei den Republikanern finden. Dort gibt es Visionen zuhauf: von einer Marktwirtschaft ohne staatliche Einmischung, von gesellschaftlicher Rückbesinnung auf christliche Werte, militärischer Dominanz in der Weltpolitik und einem Verzicht auf "neumodische Flausen" wie Kampf gegen Klimawandel oder Einschränkung des Waffenbesitzes. Das Spektrum der Kandidaten reicht von traditionell-rechts bis zum Rechts-außen-Fanatismus eines Ted Cruz. Aber die Nominierung gewinnen kann in dieser Partei nur ein Anwärter, der sich extremer positioniert als der letzte republikanische Präsident George W. Bush. Das gilt auch für dessen Bruder Jeb, der einst auch moderatere Töne angeschlagen hat.

Den Geist des Neuen vertritt am ehesten Marco Rubio, der 43-jährige Sohn kubanischer Einwanderer, der die Partei auch für Latinos öffnen möchte. Doch in allen Sachfragen ist Rubio erzkonservativ und hat selbst seine Pläne für eine Einwanderungsreform aufgegeben, um xenophobe Stammwähler nicht vor den Kopf zu stoßen. Er wird sich im Vorwahlkampf vor allem mit Gouverneur Scott Walker matchen, der durch seinen Sieg über die Gewerkschaften in Wisconsin zum Helden der Rechten geworden ist.

Ideologisch steht Clinton dem Mainstream viel näher als irgendein Republikaner. Aber sie muss den Status quo in einer Zeit verteidigen, in der viele Amerikaner trotz besserer Wirtschaftsdaten unzufrieden sind und den Amtsinhaber nicht mögen. Sie muss einen Wahlkampf führen, in dem sie vor ideologischen Kreuzzügen und rechten Experimenten warnt - und hoffen, dass das den US-Wählern genügt. (Eric Frey, DER STANDARD, 15.4.2015)