Das Adjektiv "liquid" ist eines der Markenzeichen des britischen Soziologen Zygmunt Bauman, dessen vergangene Woche in Wien gehaltener Vortrag wegen einer Störaktion einigen Medien, darunter auch diesem Blatt, eine Notiz Wert war ("Rechte Störaktion im Wien-Museum", 9. 4. 2015).

Flüssiges kann bekanntlich leicht verschüttet werden - das scheint jenen, die Bauman eingeladen haben, widerfahren zu sein. Dass honorige Wiener Institutionen, die sich dem kollektiven Gedächtnis verpflichtet fühlen, diese Aufgabe nicht allzu ernst nehmen, wenn es darum geht, einen alten Mann zu hofieren, dessen Schriften seit zwei Jahrzehnten weite Verbreitung finden, nötigt zu Widerspruch. Bauman sprach über "Diasporic Terrorism", vermied es aber wie schon seit Jahren, auf seine eigene, durchaus terroristisch zu bezeichnende Vergangenheit auch nur mit einer Silbe des Bedauerns einzugehen. Wer's nicht glaubt, kann den Vortrag samt Zwischenrufen auf Youtube sehen.

Agitprop-Aktivist

Wie weit rechts die Störer auch immer zu verorten sein mögen, solche Zwischenrufer werden den ehemaligen stalinistischen Agitprop-Aktivisten nicht dazu bringen, endlich das zu tun, wozu er seit mehreren Jahren von verschiedenen Seiten - auch von mir in diesem Blatt (der STANDARD, 5. 4. 2007) - aufgefordert wurde: Auskunft zu geben, was er zwischen 1945 und 1953 getan hat.

Von 1939 nach 1968

Die Bauman Bewundernden, zu denen auch die ihn nach Wien Einladenden gehören, stellen ihm diese Frage merkwürdigerweise nie. Wann immer er irgendwo dem Publikum vorgestellt wird, hüpfen die Eröffnungsredner rasch von 1939, als Bauman als Vierzehnjähriger vor den Nazis in die Sowjetunion flüchtete, ins Jahr 1968, als der damalige Warschauer Professor für Soziologie gemeinsam mit tausenden anderen polnischen Juden aus dem Land vertrieben wurde.

Dem kürzlich verstorbene Ulrich Beck blieb es vorbehalten, Baumans Übersiedlung 1971 von Israel nach Leeds auch noch mit dessen (angeblicher) Kritik am Umgang Israels mit den Palästinensern in Verbindung zu bringen, aber über alles davor flüssig zu schweigen.

Statt Bauman nach Wien einzuladen, um ihn hier eine nach einem tschechischen Philosophen und Antikommunisten benannte Vorlesung halten zu lassen, hätten die Verantwortlichen des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen, des Wien-Museums und des Republikanischen Clubs ihn doch auch bitten können, über seine Zeit als Terroristenbekämpfer in Polen anno 1947 zu sprechen. Darüber weigert sich Bauman nämlich beharrlich mehr zu sagen, als ihm dank Dokumenten nachgewiesen werden kann.

Er konzediert, Kommunist gewesen zu sein, bestreitet aber jede Verwicklung in die Bekämpfung antikommunistischer Partisanen und spricht von "Halbwahrheiten und 100-prozentigen Lügen", wenn es um ihn als "Agent Semjon", also den Vorwurf, für den militärischen Geheimdienst tätig gewesen zu sein, geht. Mittlerweile gibt es buchlange Studien über den merkwürdigen Widerspruch zwischen Karriere und moraltriefenden Schriften (Shaun Best, Zygmunt Bauman: Why Good People do Bad Things, Ashgate 2013).

Von dem so freundlich auftretenden alten Herrn werden wir keine Auskunft bekommen, von den ihn nach Wien einladenden Verehrern wäre es aber doch ausschlussreich zu erfahren, wie sie es mit der "unvoreingenommenen Wahrheitssuche", von der IWM-Chefin Shalini Randeria in ihrer Einleitung sprach, denn wirklich halten.

"Lernen S' Geschichte"

Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny, der per Presseaussendung die Störer verurteilte und ihnen an einem "Ort, der für Offenheit, kritische Analyse und demokratischen Diskurs steht", keinen Platz geben möchte, wird man an ein Wort eines anderen Sozialdemokraten erinnern dürfen: "Lernen S' Geschichte ..." Und an den Republikanischen Club, der wegen der Vergesslichkeit eines anderen der Bauman-Generation gegründet wurde, geht die Frage, ob flüssiges Vergessen nur bei Schreibtischtätern empörend ist. (Christian Fleck, DER STANDARD, 15.4.2015)