Jason Williamson (li.) und Andrew Fearn sind Sleaford Mods. Sie gelten als originellster Act Großbritanniens. Ende April gastieren sie erstmals in Österreich. Das Bier wird ihnen schmecken.

Foto: Simon Parfrement

Wien - Der Mensch sucht Halt. Das ist in sein Erbgut eingeschrieben, genauso wie der Hang zum Herdendasein. Demgegenüber steht das Bedürfnis, mit der Welt und all den Trotteln in ihr nichts zu tun haben zu wollen. Fuck off! Das ergibt eine Reibefläche, auf der Mord und Totschlag ebenso prächtig gedeihen wie große Kunst, auf der die Fetzen und die Funken fliegen. Im Fall der Sleaford Mods ist es vorderhand Speichel, der fliegt. Es ist das Mundwasser des Jason Williamson.

Der Mann aus Nottingham hat einiges am Herzen und die Wut im Bauch. Und Durst obendrein. Immerhin hat er dadurch Halt gefunden. Anstatt seine Fäuste gesetzeswidrig einzusetzen, hält er in der einen ein Mikrofon und in der anderen eine Bierdose. Dann legt er los.

Williamson schimpft über den Stumpfsinn von Lohnarbeit, den Club of Rome, über Politik, warmen Fusel, den Alltag, Popstars und Allzumenschliches: "Piss" und "Shit". Alles, was ihm bereits morgens den Tag verdirbt, wenn er verkatert den "focking bus" besteigt.

Williamson klingt wie eine Mischung aus Wirtshauspoet und Kampfhund. Dabei ist er nicht bloß ein zynischer Misanthrop. Gut, zur Not ginge das als zweites Standbein eines zünftigen Magengeschwürs schon durch, aber er würzt seine Tiraden mit Schmäh. Mit Humor für Menschen mit Humor, von derb bis subtil.

Die zweite Hälfte der Sleaford Mods steht währenddessen daneben. Andrew Fearn sieht aus wie ein in die Jahre gekommener Hip-Hopper oder Raver. Er trägt Baseballmütze, trinkt ebenfalls Bier und wippt den Oberkörper zu den Beats, die er aus dem Laptop abruft. Er schweigt.

Seit neun Jahren besteht das Duo, im Vorjahr erschien ihr siebentes Album Divide and Exit. Seitdem gelten sie als originellster Act der britischen Insel. Ende April gastieren die Sleaford Mods erstmals in Österreich, in Salzburg und Wien.

Fearn und Williamson sehen aus, als stünden sie morgens in der Schlange vorm Arbeitsamt. Ihre Gesichter sind vom Nachtleben verwittert, die Gala ist wenig festlich, sie wird nach Gemütlichkeit und nicht nach Schick ausgesucht. Beide sind Mitte vierzig, Williamson ist Familienvater. Beide haben es mit Lohnarbeit versucht, beide kamen zu der Einsicht, dafür nicht geschaffen zu sein.

Verdammte Ablenkung

Williamson verdingte sich als Fabriksarbeiter, in Büros und versuchte es als Schauspieler, gesteht aber, zu wenig Biss gehabt zu haben. Die Ablenkung war zu groß. Schon in seiner Kindheit waren die Sex Pistols interessanter als Hausaufgaben, später war es die Musik von The Jam. Ein Relikt aus seiner Zeit als Mod trägt er als Haarschnitt bis heute.

Schließlich entdeckte er Drogen und House Music und versuchte sich erfolglos in diversen Rockbands. Irgendwann stolperte er über das Debütalbum von The Streets und begann über einen Loop des Drum-and-Bass-Pioniers Roni Size zu keifen. Das fühlte sich gut an, richtig.

Ohne es gleich zu bemerken, hatte Williamson Rock 'n' Roll überwunden und seine Bestimmung gefunden. Ein paar Zufälle später lief er Fearn in die Arme, der gerade Fitnessabos an Pensionisten via Telefon verkaufte. Die beiden begannen, Musik zu machen. Zuerst nannten sie sich That's Shit, Try Harder. Schon daran lässt sich ablesen, dass man zu sich selbst genauso streng ist wie mit den Sujets seiner Betrachtung.

Fett und süffig

Zu den Beats von Fearn geriet Williamson schließlich richtig in Fahrt. Die beiden veröffentlichten einige CDs, die sie in Clubs, Pubs und bei ihren Shows verkauften. Mit dem noch etwas trübe produzierten Austerity Dogs erreichten sie 2013 erstmals größeres Publikum, mit Divide and Exit gelang ihnen der mediale Durchbruch.

Fearns Musik ist ein spartanisches Gerüst aus Bass und Beats. Billig, aber fett und süffig. Daraus ergeben sich einfache Melodieführungen, einige Tracks werden von einem Bassisten verstärkt. "Pfft!", macht die Bierdose, und Williamson rülpst. Hat jemand Rampensau gesagt? Der Rhythmus erinnert an den minimalistischen Funk der New Yorker Band ESG und ist ein duldsamer Übermittler von Williamsons Texten. Diese sind Twitter-geeicht, knapp und direkt, "In your face", wie man sagt. Mit Verve deklamiert er seine Einzeiler, gerät in Rage, nimmt sich zurück, lacht über das, was ihm da eben wieder entfahren ist.

Die Resultate sind durchgängig großartig. Die Sleaford Mods sind Punk und Grime, sie beleihen die Deutsch Amerikanische Freundschaft und The Fall, sie sind obszön und witzig, schlau und deppert. Sie sind ein Glücksfall, der zu Ende sein könnte, wenn sie plötzlich zu erfolgreich werden. Und das wird passieren. Aber was, wenn diese Typen plötzlich Geld scheffeln? Das würde ihnen den Nährboden ihrer Kunst entziehen.

Andererseits kann man Geld ja verbrennen, den Kindern vererben oder mit den Kumpels im Pub versaufen. Soll Schlimmeres passieren. "Pfft! - Rülps!" (Karl Fluch, DER STANDARD, 15.4.2015)