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"Dilma raus!" Viele Brasilianer bereuen schon, Rousseff eine zweite Amtszeit ermöglicht zu haben.

Foto: REUTERS/Nacho Doce

Die Wut der Demonstranten ist groß. Immer wieder skandieren sie "Dilma raus!" und schlagen dabei lautstark mit Kochlöffeln auf Töpfe. Die meisten von ihnen tragen gelb-grüne T-Shirts - die Farben der brasilianischen Nationalelf.

Doch es geht nicht um Fußball, sondern um die derzeit größte Protestbewegung gegen die linksgerichtete Staatschefin Dilma Rousseff. Am Sonntag gingen in mehr als 100 Städten nach Veranstalterangaben rund eine Million Menschen auf die Straße. Zentrum der Proteste ist Brasiliens Wirtschaftsmetropole São Paulo, wo rund 280.000 Demonstranten ihrem Ärger gegen die "korrupte Regierung" Luft machten.

Deutliches Wachstumsminus

Die Präsidentin kämpft ums politische Überleben. Die Wirtschaft rutscht immer tiefer in die Krise. Analysten gehen heuer von einem Wachstumsminus von einem Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Gleichzeitig schießen die Lebenshaltungskosten in die Höhe.

Und auch die künstlich niedrig gehaltene Inflation könnte über sieben Prozent steigen. Aber das größte Sorgenkind ist der staatlich kontrollierte Ölkonzern Petrobras, der zu einem Selbstbedienungsladen geworden ist.

"Der Wähler verzeiht keinen Kurswechsel"

"Der Korruptionsskandal ist sicherlich der größte Katalysator für die Proteste, aber auch der Unmut über die ökonomische Situation", sagt der Politikwissenschaftler André Singer. Er sieht die Präsidentin in einem Dilemma. Ihr Handlungsspielraum sei eng, sie müsse unliebsame Reformen anstoßen und Kürzungen vornehmen. "Der Wähler verzeiht keinen Kurswechsel", so Singer, Sprecher der Vorgängerregierung von Lula da Silva.

Die Demonstranten kommen aus der Mittel- und Oberklasse, aber auch aus ärmeren Schichten. Sie eint die politische Unzufriedenheit. Unter ihnen sind auch radikale Gruppen, die eine Rückkehr zur Militärdiktatur propagieren. Nach einer Datafolha-Umfrage fordern 60 Prozent der Brasilianer ein Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff, auch wenn die juristischen Hürden hoch liegen.

Mit dem Rücken zur Wand

Rousseff trat erst im Jänner ihre zweite Amtszeit an und steht politisch schon jetzt mit dem Rücken zur Wand. Die ehemalige Hoffnungsträgerin der Linken übt nur noch formal die Macht aus. Im Kongress hat sie keine Mehrheit mehr. Gerade musste sie mit ansehen, wie ein Gesetzentwurf, der die Auslagerung von Arbeitskräften an Subunternehmer erlaubt, in einer tumultartigen Abstimmung eine Mehrheit fand. Die Gewerkschaften riefen empört zu Massenprotesten und Streiks auf.

Der liberale Koalitionspartner PMDB besetzt inzwischen Schlüsselpositionen. Während Rousseffs Anhänger auf einen Befreiungsschlag ihrer Präsidentin warten, macht sie das Gegenteil: Sie erkor den farblosen Vizepräsidenten Michel Temer von der PMDB zum neuen Sprachrohr der Regierung. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, DER STANDARD, 14.4.2015)