Emily Landau: "Obama-Regierung muss jetzt auf die Kritiker eingehen, anstatt die Ohren zu verschließen und sie als Kriegstreiber zu bezeichnen."

Foto: NATO

STANDARD: Ist die Lausanner Vereinbarung vom 2. April nun der "schlechte Deal", vor dem unter anderem Israel gewarnt hat?

Landau: Zuallererst gibt es ja noch gar keine Vereinbarung. All die Rhetorik, wonach es eine historische Übereinkunft gegeben haben soll, ist völlig ungerechtfertigt. Es gibt deshalb nur eine gemeinsame Erklärung, weil die Iraner sich geweigert haben, eine Übereinkunft zu unterschreiben. Die USA wollten die Verhandlungen aber nicht platzen lassen. Darum wurde ein Papier des Weißen Hauses veröffentlicht, das voller Unklarheiten und Widersprüche ist. Bis jetzt haben wir einfach nicht genug Information, um einschätzen zu können, ob das ein guter oder ein schlechter Deal ist. Wenn die USA dieses Papier aber für eine gute Basis halten, mache ich mir Sorgen.

STANDARD: Von welchen Widersprüchen sprechen Sie?

Landau: Wir wissen einfach nicht genau, worauf man sich geeinigt hat. Irans Außenminister Zarif hat nur wenige Stunden danach getwittert, das US-Papier sei nicht ernstzunehmen. Ayatollah Khamenei hat ebenfalls gleich gesagt, Iran werde nichts unterschreiben, solange die Sanktionen in Kraft sind. Auch den Zutritt zu Militäranlagen wolle der Iran nicht gestatten. Ein robustes Kontrollregime, das für eine Übereinkunft zwingend nötig ist, kann aber nicht geschaffen werden, wenn der Iran weiterhin Anlagen wie Parchin hermetisch abriegelt.

Das Thema der Umwandlung zur Waffe wird in dem US-Papier nur mit einem Satz erwähnt. Es ist von Maßnahmen die Rede, ohne auf irgendwelche Details einzugehen. Schon bisher hat der Iran mit der IAEA (Internationale Atomenergiebehörde, Anm.) nicht kooperiert. Auch was mit dem Bestand an niedrig angereichertem Plutonium passieren soll, ob man es nach Russland schickt oder verdünnt, wissen wir nicht. Uns wird nur gesagt, dass es "reduziert" wird.

STANDARD: Sie nannten die Hoffnung des Westens, im Fall eines iranischen Ausstiegs aus einer Übereinkunft rechtzeitig reagieren zu können, eine "Illusion". Warum?

Landau: Iran ein Jahr lang davon abhalten zu können, sich atomar zu bewaffnen, ist aufgrund der Informationen, die wir derzeit haben, eben eine Illusion. Hätte der Iran weitere Zugeständnisse gemacht, wäre ein Eingreifen vielleicht möglich, aber das hätte uns das Weiße Haus sicher mit Freuden mitgeteilt. Es gibt keinen Grund anzunehmen, das Ergebnis der Verhandlungen verhindere eine iranische Atombombe, nicht einmal für zehn Jahre. Selbst wenn der Westen einen Verstoß gegen das Abkommen durch den Iran rechtzeitig bemerkt, ist überhaupt nicht klar, was dann passieren soll und ob dann die USA, die IAEA oder die P5 (fünf permanente Sicherheitsratsmitglieder, Anm.) die Entscheidungen treffen. Diese Fragen sind aber nicht neu, sondern seit zwölf Jahren offen.

STANDARD: Welche Verstöße meinen Sie?

Landau: Aus all den Jahren wissen wir, dass der Iran schrittweise vorgeht und testet, wie die internationale Gemeinschaft reagiert. Nordkorea etwa leistet sich wesentlich unverhohlenere Verstöße als der Iran, und trotzdem schafft es niemand, es in die Schranken zu weisen. Die einzelnen iranischen Verstöße mögen vielleicht keine Reaktion des Westens hervorrufen, nach fünf Jahren kann so aber eine neue Realität geschaffen werden. Deshalb halte ich es für unverantwortlich zu sagen, man könne den Iran ein Jahr von der Bombe entfernt halten.

STANDARD: Bis zum 30. Juni ist noch Zeit. Halten Sie es für möglich, dass die von Ihnen erwähnten Punkte nachgereicht werden?

Landau: Das hoffe ich jedenfalls. Viele Themen können durchaus ohne Einbeziehung des Irans entschieden werden. Die USA oder die P5 könnten sich etwa mit Experten zusammensetzen und festlegen, wie man auf Verstöße des Irans reagieren soll. Auf der anderen Seite kann der Iran natürlich jederzeit aus dem Abkommen aussteigen und die andere Seite bezichtigen, keine guten Absichten zu hegen. Wir haben das in der Vergangenheit etwa 2004 und 2005 gesehen. Wir beobachten jetzt schon erste Vorbereitungen des Regimes, um genau das tun zu können, etwa mit der Bedingung, zuerst die Sanktionen aufzuheben. Was soll der Westen dann tun? Das wäre kein einfacher Verstoß, sondern würde in lange Diskussionen münden, die wiederum dem Iran Zeit geben, weitere Fakten zu schaffen.

STANDARD: Falls es doch noch zu einem Abkommen kommt: Wie geht es in zehn oder 15 Jahren weiter?

Landau: Das ist genau das Problem. Die Verhandlungen der P5+1 sind immer von einem beschränkten Zeitraum ausgegangen, in welchen dem Iran die jeweiligen Beschränkungen auferlegt werden. Danach soll der Iran als sogenanntes normales Mitglied des Atomwaffensperrvertrags behandelt werden. Was passiert, wenn der Iran nach Ende der Beschränkungen weiterhin nach Atomwaffen strebt, ist ebenfalls völlig unklar. Meine Annahme ist, dass die Obama-Regierung stark darauf hofft, dass sich bis dahin ein anderes Regime im Iran an der Macht befindet. Das halte ich für extrem gefährlich.

STANDARD: Darf der Iran sich also als Sieger der Verhandlungen betrachten?

Landau: Der Iran war in den vergangenen Jahren in fast allen Punkten unnachgiebig. Während Teheran immer Nein gesagt hat, kam ihm der Westen mit immer mehr Zugeständnissen entgegen. Die internationale Gemeinschaft hat dem Iran gezeigt, dass sie dieses Abkommen so dringend braucht und der Iran nur warten muss, bis sie weiter nachgibt. Es ist also eine völlig rationale Entscheidung des Iran, zu warten, bis ihm immer mehr angeboten wird. Wenn man dies als Sieg bezeichnen will, dann hat der Iran gewonnen.

STANDARD: War es nicht von Beginn an unrealistisch zu glauben, man könne mit dem iranischen Regime auf Augenhöhe verhandeln?

Landau: Es ist einfach sehr schwierig, ein Land, das entschlossen ist, atomar aufzurüsten, durch Diplomatie davon abzuhalten. Das haben wir schon bei Nordkorea gesehen. Die Verhandlungen hätten aber trotzdem besser geführt werden können. Als die P5+1 2013 in die Verhandlungen eingestiegen sind, gab es durch das wirkungsvolle Sanktionsregime ein starkes Druckmittel gegen den Iran. Dieses Kapital wurde verspielt. Verhandlungen sind natürlich die beste Option, vor allem verglichen mit einem Militäreinsatz zu einem so späten Zeitpunkt. Dafür muss man aber sehr geschickt verhandeln, weil man sonst verliert.

STANDARD: Wem geben Sie die Schuld?

Landau: Es hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren eine sehr starke US-amerikanische Führungsrolle herausgebildet, die französischen Stimmen etwa waren zuletzt zu leise und zu wenig konsistent. Darum liegt ein großer Teil der Verantwortung bei der Obama-Regierung. Diese muss jetzt auf die Kritiker eingehen, anstatt die Ohren zu verschließen und sie als Kriegstreiber zu bezeichnen. (flon, derStandard.at, 14.4.2015)